Als schliefe sie
ein leichter Duft,
griff ihre Hand wie eine Welle
den Krug mit dem Nass aus der Quelle,
weil ein Späher sie verschreckte…
Halt! Nein, das Gedicht ging anders.
Als erfrischt im Bade sie stand,
griff sie rasch nach ihrem Gewand.
Weil ein Späher sie verschreckte,
sie das Licht dann mit Dunkel bedeckte
Nein, nein. Zuerst hat sie sich ausgezogen. Was für eine schöne Vorstellung!
begoss sich mit Wasser, entblößt, ohne Hemd,
ihr Gesicht errötet, ihr Antlitz beschämt.
Nackt, umspielt von Luft und so weiter. Und am Ende heißt es:
So entschwand hinter der Nacht der Morgen,
während Wasser tropfend in Wasser geborgen.«
Mansûr sprang im Gedicht umher, kam zurück zum ersten Vers, glitt zum letzten, schob Verse beliebig vor und zurück, als schwömme er im Wasser.
»Poesie ist Wasser«, sagte er. »Der Körper einer Frau ist Wasser. Liebe ist Wasser. Gott thront auf dem Wasser. ›Und wir machten aus dem Wasser alles Lebendige‹ 18 , heißt es.«
Unvermittelt sprang er auf, um von Milias leicht geöffneten Lippen einen zurückgehaltenen Kuss oder ein ungesagtes Wort zu erhaschen. Im nächsten Moment aber verließen ihn die Kräfte, und er sank matt und niedergeschlagen in sich zusammen.
»Ich trage die Liebe«, sagte er. »Und die Liebe zu tragen erschöpft einen.«
Milia ging in die Küche. Mansûr folgte ihr.
»Dieser Arrak!«, sagte er. »Himmel, Herrgott, was der für eine Wirkung hat! Weiß in Weiß. Volle Punktzahl. Der Arrak bringt volle Leistung!«
Milia verstand nicht, weshalb Masûr immer nur an das Eine dachte und nicht merkte, wie fremd und einsam sie sich fühlte. Sie hatte Angst. Nein, Mansûr war nicht so einer. Aber Väter töten nun einmal ihre Söhne. Davon war sie schon immer überzeugt. Nein, das hatte sie von ihrem Vater. Er hat das behauptet. Nein, es war nicht bloß eine Behauptung, sondern die Familiengeschichte bewies es. Die Sache war keineswegs mit ihrem Vater beerdigt worden. Und deshalb beherrschte nach wie vor Großvater Salîms Bild die Szene. Noch als Jûsuf seinem Vater immer ähnlicher wurde, haftete an ihm, so stellte Saada vor ihren Kindern fest, das Bild des Opfers. Sichtbar am Gesicht, das voller schwarzer Löcher war, und an dem halb geschlossenen Auge.
»Kann ein Vater seinen Sohn töten?«, fragte Milia ihre Großmutter.
»Nein, mein Kind. Er wollte ihn nicht töten. Er warf einen Stein nach ihm, weil er ihn nicht erkannt hat.«
»Wie kann einer den eigenen Sohn nicht erkennen?«
»Er hielt ihn für einen Dieb und warf einen Stein nach ihm. Keiner von beiden trägt die Schuld. Weder Vater noch Sohn. Schuld waren die Umstände. Es waren schwierige Zeiten, mein Kind. Schuld war vielleicht auch diese Frau. Sie hat ein Problem in die Welt gesetzt und uns nach ihrem Tod mit hineingezogen. Dein Großvater kaufte das Haus. Das Haus war das Problem. Dein Vater wollte das Haus anfangs verkaufen, wurde es aber nicht los. Um zu verkaufen, braucht man einen Käufer. Damals gab es jedoch kein Geld. Dein Vater blieb auf dem Haus sitzen. Und so hängt nun auch ihr in der Sache drin. Nein, dein Großvater wollte seinen Sohn nicht töten. Das behauptet nur diese Nonne, der deine Mutter alles nachplappert wie ein Papagei. Nein, das ist nicht wahr, kann unmöglich wahr sein. Also Schluss mit dem Gerede!«
In der Nacht, da Milia sich in Schwangerschaft rundete und die Welt der Zweieinigkeit betrat, fasste sie den Entschluss, ihr Leben von vorn anzufangen. Aber wieso holte Nadschîb sie jetzt wieder ein? Wieso musste Mansûr das Schreckgespenst aus der Höhle der Erinnerung heraufbeschwören?
Mansûr hatte Milia aus Liebe geheiratet. Er glaubte, sie liebe ihn genauso, finde aber nicht die Worte, es ihm zu sagen. Um ihr seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, behalf er sich mit der Poesie. Er legte ihr die Poesie zu Füßen, rezitierte Verse, in denen Baschschâr bin Burd 19 , über seinen Körper schreibend, die Liebe besang:
»Nimm meine Hand, heb mein Gewand und nicht erschrecke
über den Körper, den ich krank verstecke.
Was aus mir fließt, sind meine Tränen nicht,
sondern die Seele, sie schmilzt im Licht.«
Mansûr aß gerade Spiegeleier, als Milia den Speisesaal des Hotels betrat. Sie nahm ihm den Teller weg und reichte ihn einer der beiden Wadî’as.
»Eier bekommen dir nicht«, bestimmte sie.
»Ich bin wieder völlig gesund«, sagte er.
»Nein, das bist du nicht«, widersprach sie.
»Hast du nicht gemerkt, in was für einen Tiger ich mich
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