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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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der allgemeinen Traurigkeit im Adschami-Viertel und im Haus der Haurânis zu tun hatte. Nicht der tragische Tod des Angehörigen stimmte sie traurig, sondern die Tatsache, dass sie gesehen hatte, was kein anderer sah. In Jaffas Duft war ihr das Ende begegnet. Schuld war nicht der Anblick des aufgebahrten Amîn. Nein, schuld war jener Geruch, der sich auf den Gesichtern gelb abzeichnete und die Trauergäste zu Gespenstern machte. In Scharen strömten die Menschen in das Haus, um den Märtyrer zu betrauern, der zwei Kinder, eines sieben und das andere fünf Jahre alt, und eine junge Frau aus der Gegend von Beit Sâhûr hinterließ. Rachegeschrei aus heiseren Kehlen machte Mansûr sprachlos. Amîns Ermordung wurde in Verbindung mit einer Serie von Explosionen gebracht, die Jaffa 1947 erschütterten. Wahrscheinlich war es sein unüberlegtes Geplapper, das ihn das Leben gekostet hatte. Amîn starb, davon war Mansûr überzeugt, weil er zu viel geredet hatte. Wer nämlich Munition für englische Gewehre herstellt und Autos panzern will, damit die Palästinenser mit schweren Waffen gegen die überlegene zionistische Kriegsmaschinerie antreten können, schweigt über sein Vorhaben. Amîn aber war ein Plappermaul. Und das war der Hauptgrund für die Unstimmigkeiten zwischen den beiden Brüdern und für Mansûrs Umzug nach Nazareth. Nein, der Grund war die Mutter. Sie hatte sich auf die Seite des Erstgeborenen gestellt, den sie über die Maßen bewunderte. Das ging so weit, dass sie sich, seit ihr Mann tot war, wie Amîns Ehefrau benahm. Sie bestand darauf, dass er zu ihr ins Zimmer zog und im Bett des Verblichenen schlief, weil sie es nachts nicht ertrug, allein zu sein. Amîn war aktiv im Verband der Orthodoxen in der Stadt und ein Mitglied in der lokalen, vom Obersten Arabischen Rat gegründeten Aktionsgruppe. Er sah in dem Großmufti Palästinas den Retter und träumte von einer Reise in den Irak, um Raschîd Âli al-Kîlânis 8 Revolte gegen die Engländer zu unterstützen. Er habe sogar, so munkelte man, an Waffentrainings teilgenommen und bewahre zu Hause ein englisches Gewehr auf.
    Mansûr glaubte, dass seine Mutter ihn nicht mochte. Warum sie ihn ablehnte, wusste er nicht. Vielleicht, weil er ihr ähnlich war. Seit frühester Kindheit wurde ihm die immer gleiche Geschichte erzählt. Von einer Mutter, die sich von Gott ein Mädchen wünschte, stattdessen aber einen zweiten Sohn bekam. Also behandelte sie ihn wie ein kleines Mädchen. Sie ließ seine Haare wachsen, flocht ihm Zöpfe und redete ihn in der weiblichen Form an. Amîn spielte mit ihm das gleiche Spiel. Sogar in der Schule, sodass die Mitschüler Mansûr am Ende auch mit »Mansûra« ansprachen. Mansûr reagierte aggressiv. Er schlug sich im wahrsten Sinne des Wortes durch den Schulalltag und kam nicht selten blutverschmiert heim. Er habe Blut zu kosten bekommen, erzählte er Milia. Unzählige Male habe er in seiner Jugend das Blut geschluckt, das ihm aus der Nase gelaufen sei. Später, als er etwas älter war, sei ihm bewusst geworden, in was für eine seltsame Familie er hineingeboren worden war. Eine Familie, die unter der Fuchtel einer erbarmungslos eisernen Mutter stand.
    »Ich bin ihr nicht ähnlich«, sagte Mansûr entschieden. »Eine tyrannische Frau, die an nichts anderes denkt als ans Geldscheffeln. Deshalb habe ich ihr alles überlassen. Ich will nicht nach Jaffa zurück, nicht zu dem Blutgeruch, der dort in der Luft liegt. Widerstand ist eine Pflicht, aber ich…«
    Milia kamen Bruchstücke dieser Familiengeschichte, während Mansûr sich vor ihren Augen veränderte und nun, in der Gestalt seines Bruders, mit aller Entschiedenheit sagte, dass er nach Jaffa ziehen würde. Dies eröffnete er ihr in Nazareth einen Tag nach ihrer Heimkehr von der Beerdigung.
    »Das geht jetzt nicht«, wehrte sie ab. »Ich muss das Kind erst hier zur Welt bringen. Dort kann ich nicht entbinden.«
    »Aber meine Mutter ist dort«, sagte er. »Sie hilft dir.«
    »Nein, ich will deine Mutter nicht«, entschied sie. »Und meine Mutter kann nicht kommen. Ich bleibe hier. Geh du, wenn du willst.«
    Er habe mit dem Gedanken gespielt, sie in den Libanon zu schicken, sagte er. Doch das sei nicht einfach. Denn die Straßen seien unsicher. Aber er sei bereit, ihrem Wunsch nachzugeben unter der Bedingung, dass sie eine Woche nach der Geburt des Kindes umzögen. Bis dahin habe er alle Hände voll zu tun. Er müsse das Geschäft in Nazareth auflösen und häufig nach Jaffa fahren, um

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