Als schliefe sie
die Schlosserei instand zu setzen und sich wieder in seinen alten Beruf einzugewöhnen.
Milias Nächte waren voll von Orangen, die an Bomben erinnerten. Die Farbe Rot überzog Gesichter und alles andere. Mansûr war drei Tage in der Woche fort. Milia verbrachte die Nächte allein. Irgendwann konnte er den Schleier der Einsamkeit, hinter dem sie lebte, nicht mehr lüften. Er rührte sie nachts nicht an. Die Poesie verschwand aus ihrer Beziehung. Die Worte, die zwischen ihnen fielen, waren nur noch Wiederholungen bereits gesagter Worte. Mansûr war ein anderer Mann geworden. Und Milia eine andere Frau. Ihre Träume hatten neue Gestalt angenommen. Sie sah alles untergehen.
Milias Nächte waren lang und bedrückend. In den Hohlräumen der Dunkelheit sah sie kleine Männer mit blauen Augen. Sie stehen um den Sarg. Sie heben den Sarg auf die Schultern und tragen ihn auf den Friedhof am Meer. Auf einem Hügel mit Blick auf das Meer, auf wogende Untiefen, tanzt der Sarg, von Schultern getragen, auf und ab. Wellen erheben sich. Das Meer kommt näher. Wie ein blaues Tier mit endlosem Körper springt es auf den Hügel, überspült ihn, hebt den Sarg und schwemmt ihn mit sich fort. Das Wasser verschlingt die Männer. Das kleine Mädchen steht neben Mansûr. Sie zittert, weiß nicht, wie sie weglaufen soll. Sie greift nach seiner Hand. Die Hand entgleitet ihr. Sie rennt davon, die Wellen folgen ihr. Die Wellen bäumen sich auf, laufen ihr hinterher. Sie fällt hin, findet sich im Wasser wieder. Alle sind verschwunden. Das Wasser hat alle verschlungen, hat alle ins Ungewisse fortgerissen. Die Wellen fressen die Menschen auf. Das kleine Mädchen ist allein. Ihre Hände rutschen ab. Das Wasser verschlingt sie fast. Sie weint. Wasser dringt in ihre Lunge. Die Brust bläht sich. Sie bekommt keine Luft. Wasser, Salz. Salz in der Kehle. Die Lippen platzen auf. Die Hand winkend in der Luft. Der Sargdeckel springt auf. Ein blonder Mann steht auf, reicht ihr die Hand. Woher kommt der französische Offizier plötzlich? Allein steht er auf der Straße. Bei Nacht. Eine sanfte Herbstbrise. Leichter Nieselregen. Die Frau im schwarzen Kleid wartet im Garten auf ihn. Er rührt sich nicht von der Stelle. Er bleibt in der Ferne, scheint die Frau heimlich zu beobachten. Unvermittelt setzt er sich in Bewegung, strauchelt wie im Schwindel. Sein Oberkörper schnellt vor. Er fällt hin. Blut schießt hervor. Aus Löchern in seinem Rücken. Überall Blut. Die Straße ertrinkt in Blut. Der Sarg treibt im roten Nass.
Milia wusste, dass nur sie die Geschichte kannte. Sie hat den blonden Offizier gesehen, den Hasîba im Herzen begraben hatte. Mehrmals hat sie ihn gesehen. Gesehen, wie er strauchelt, hinfällt, am Boden wie Hasîba das Kissen an sich drückt. Er verfiel, genau wie Hasîba. Nichts als Haut und Knochen, in der Mitte zusammengeklappt, bewegungsunfähig, von Husten erstickt. Am Fenster vor sich trockene Orangen- und Zitronenschalen. Hasîba hatte die Angewohnheit, Orangen- und Zitronenschalen im Garten an der Leine zu trocknen, um die duftenden Schalen danach vielfältig einzusetzen. Sie verbrannte sie im Heizofen, damit der Geruch die Luft im Haus erfrischte. Sie steckte sie zum Brennholz in den Badeofen, damit das Badezimmer angenehm roch. Sie legte sie neben das Kopfkissen, um den Duft des Lebens zu atmen. Als sie erkrankte, bat sie, man möge ein paar Schalen an das Fenstergitter vor ihrem Bett hängen. Einmal, sie konnte bereits nicht mehr sprechen, waren die Schalen entfernt worden. Drei Tage lang winselte sie ununterbrochen und verweigerte jeden Bissen, bis Jûsuf schließlich merkte, warum sie so unglücklich war, und wieder Schalen ans Fenster hängte.
Saada entwickelte einen regelrechten Widerwillen gegen getrocknete Schalen. Besonders zum Ende hin, als sich in den Geruch der Gestank von Urin und Kot mischte. Trotzdem, Saada blieb nichts anderes übrig, als sich dem Wunsch ihres Mannes und dem Winseln der Schwiegermutter zu fügen. Kaum aber war alles vorbei, verbrannte sie sämtliche Schalen. Seither ertrug sie nicht einmal mehr den Anblick von Zitrusfrüchten. So sah Milia sich ab ihrem zehnten Lebensjahr gezwungen, die unverzichtbare Kubba arnabîjja zu kochen. Und bald war sie zur Meisterin des Kochens und des Wohlgeschmacks geworden. Ihre Fähigkeiten nahm sie mit nach Nazareth, musste sich aber zehn Monate nach der Hochzeit mit dem Umzug nach Jaffa abfinden. Milia hatte kaum genug Zeit, sich an Nazareth zu gewöhnen. Diese
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