Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
Vom Netzwerk:
Geschichte, die Beirut in den zwanziger Jahren in Atem hielt, nicht oft genug erzählen. Nachdem das Osmanische Reich zusammengebrochen war und die Franzosen Syrien und den Libanon kolonisiert hatten, nahmen die Menschen die Sitten ihrer neuen Herren an. In der Mittelschicht wurde es üblich, Hosen zu tragen. Die Männer der Oberschicht allerdings, zu denen auch Khawâdscha Aftimus gehörte, taten dies, unter dem Einfluss der osmanischen Reformer, die in der Verwestlichung die Antwort auf alles sahen, bereits seit Beginn des Jahrhunderts. Wer Hosen trug, wurde vom gemeinen Volk verspottet. Selbst Mariam musste jedes Mal lachen, wenn Salîm sich über Khawâdscha Aftimus’ Klunker lustig machte, die in der Hose prall wirkten, aus dem Beinkleid geschält aber die traurige Wahrheit über den Siebzigjährigen ans Licht brachten.
    Jedenfalls vollzog sich der Übergang zur europäischen Kleiderordnung in Beirut wie eine Art Karneval. Männer liefen breitbeinig umher. Plötzlich schienen sämtliche Städter eine Gehbehinderung zu haben. Endlos viele Witze kursierten. Und die traditionellen Schneider, die sich mit der neuen Mode nicht arrangieren konnten, verstanden die Welt nicht mehr.
    Er habe erst später die wahre Bedeutung der Hose erkannt, sagte Jûsuf. Sie heilige die Männlichkeit, mache sie für alle sichtbar.
    »Trotzdem mag ich bis heute keine Hosen. Anfangs habe ich mich mit dem gebrüstet, was Gott mir geschenkt hat. Aber das gehört sich nicht. In Hosen war ich immer genötigt zu stehen. Ich hatte das Gefühl, nicht sitzen zu können. Doch ich habe mich daran gewöhnt. Und neuerdings sollen sogar die Frauen angefangen haben, Hosen zu tragen. Großer Gott! Wie kann das sein? Die Frauen nackt! Die Männer nackt! Was für ein Leben! Es sei das Ende der Welt, dachten wir, als Hosen in Mode kamen. Doch dann haben wir begriffen, dass das alles nichts zu bedeuten hat.«
    »Wieso nimmst du eigentlich nicht Schnurrbart und Tarbûsch ab?«, fragte Salîm seinen Vater.
    »Machst du jetzt etwa einen auf Franzose, Junge? Keine Ahnung, von wem du das hast!«
    »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
    »Ein Mann ohne Schnurrbart! Was bleibt denn da noch? Und der Tarbûsch? Großer Gott! Fragt eure Mutter. Den Tarbûsch lege ich nie ab. Nur zum Schlafen. Selbst im Schlaf träume ich, dass ich einen Tarbûsch trage. Ein nackter Kopf ist unansehnlicher als ein nackter Körper. Wer entblößt schon den Kopf! Keine Ahnung, Salîm, wie du das kannst. Ich weiß, die Welt hat sich verändert. Alles verändert sich. Aber ich… Nein. Und wenn ich eines Tages sterbe, möchte ich mit Tarbûsch beerdigt werden.«
    Als er starb, zog Saada ihm sein Gewand an und setzte ihm den Tarbûsch auf. Das dürfe man nicht, sagte die heilige Nonne. Der Mensch müsse seinem Schöpfer barhäuptig gegenübertreten. Also wurde ihm der Tarbûsch abgenommen und neben ihm im Bett aufgestellt. Mit dem Tarbûsch oben auf dem Sarg wurde Jûsuf zu Grabe getragen. Mit jedem Schritt, den die Sargträger machten, hüpfte die schwarze Quaste auf und ab. Es war, als habe Jûsuf sein letztes Wort in Schwarz gesprochen. Dann war der Tarbûsch verschwunden. Milia dachte, er sei ihm mit ins Grab gegeben worden. Drei Tage später aber stellte sie fest, dass Nikola ihn trug. Damit war klar, wer das neue Familienoberhaupt war.
    Milia stand mit den Trauernden vor Amîns Sarg. Auf dem Sarg befand sich kein Tarbûsch, sondern eine vierfarbige Fahne, die palästinensische, wie sie später erfuhr. Die gleiche Fahne, unter der die große arabische Revolution gegen die Osmanen stattfand, angeführt von König Faisal, »König des Masâbki-Hotels«, wie Milia ihn nannte. Grün, weiß, rot, schwarz. Die vier Farben verwiesen, so erläuterte Mansûr, auf die alten arabischen Staaten, die in dem Land aufeinander folgten, und seien, wie in den Versen des Dichters Safîu-d-Dîn al-Hilli 6 deutlich würde, ein Symbol des arabischen Erwachens.

    Weiß sind unsere Taten, schwarz ist unser Krieg,
    grün ist unsere Weide, rot scharfer Klingen Sieg.
    Zur Wahrheit wird unsre Sicht erklärt,
    die Bitten von der Zeit erhört.

    Milia gefielen diese Verse nicht.
    »Das hat mit Poesie nichts zu tun!«, kommentierte sie.
    Bei der Trauerfeier sah sie ein paar Männer mit heller Haut und blauen Augen. Sie standen vorn in der Kirche und nahmen zusammen mit den Angehörigen des Toten die Beileidsbekundungen entgegen. Sie gehörten, so wurde Milia gesagt, zur Familie Hussaini und seien mit Hadsch

Weitere Kostenlose Bücher