Als schliefe sie
Amîn 7 , dem Mufti von Jerusalem und Oberhaupt Palästinas, verwandt. Amîn Haurâni sei, so wurde ihr auch gesagt, als Märtyrer für die Heimat gefallen. Er habe die vom Vater geerbte Schlosserei in den Dienst der Revolution und des Widerstands gegen die britische Mandatsmacht und die Zionisten gestellt. Milia fühlte, wie der Geruch des Todes um sie herum schwelte, und nahm die ganze Woche, die sie im Haus der Familie in Jaffa verbrachte, die Hand nicht vom Bauch, um das ungeborene Kind vor den drohenden Gefahren zu schützen. In der Kirche stand neben Mansûr ein kleiner blonder Mann, ein Vetter des Hadsch Amîn, wie es hieß, der auch im Haus nicht von Mansûrs Seite wich. Milia interessierte brennend, warum diese Männer so aussahen. Warum sie aussahen wie Europäer oder zumindest so, wie sie sich Europäer vorstellte. Doch sie schwieg. Eine solche Frage zu stellen, wäre unpassend gewesen. Wie kam es, dass der Nachfahre eines Kreuzfahrers die neuen Kreuzfahrer bekämpfte, die Palästina besetzten und das Land den Juden vermachen wollten? Später erfuhr sie, dass die Hussainis eine rein arabische Familie und helle Haut und blaue Augen keineswegs nur den Europäern vorbehalten seien. Ihr fiel ein, dass es jede Menge alter arabischer Gedichte gibt, in denen hellhäutige Frauen besungen werden, und musste über die eigene Unbedarftheit schmunzeln.
Als sie heiratete, hatte sich Milia keine Gedanken über das gemacht, was sie in diesem Land, das in den Abgrund glitt, erwarten würde.
»Ich habe mir keine Gedanken gemacht, weil ich es nicht wusste. Aber wieso haben sich meine Brüder nichts gedacht? Na, vielleicht haben sie sich ja Gedanken gemacht, darin aber die einzige Möglichkeit gesehen, mich unter die Haube zu bringen und loszuwerden.«
Nach Nadschîb und seinen Vögeln war das Leben für Milia bedrückend geworden. Sie hatte das Gefühl, zu viel Platz im Haus einzunehmen. Der Sturm um Salîm und seine beiden Frauen, wie Saada Salîms Ehefrau und deren Schwester nannte, hatte sich gelegt, und Ruhe war wieder eingekehrt. Salîms Name fiel im Haus nicht mehr, so als habe er nie existiert. Nikola hatte alle Verantwortung übernommen und herrschte mit roter Faust. Einer Faust, rot wie der Tarbûsch, den er nach dem Tod des Vaters aufsetzte und bis zu seinem letzten Tag nicht mehr ablegte. Doch sie, Mutter und Schwester, wie sie genannt wurde, hatte nun zu gehen. Saadas Blicke sagten dies. Und die Blicke der Brüder ebenso. Selbst Mûsa distanzierte sich zunehmend von ihr und wusste schließlich nicht mehr, was er mit ihr hätte reden sollen. So ist das Leben. Es wandelt sich und wird eng. Milia fühlte sich beengt. Sogar die Träume hatten etwas Erstickendes. Finsternis, Vögel und Verlorensein, begleitet von einer Enge im Brustkorb und dem Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Ein verlorenes Mädchen, ins Tal stürzend. Sie geht, sieht sich selbst fallen. Die kleine Milia aus den Träumen schien das Gehen verlernt zu haben. Milias Träume waren nur noch eine Folge von Stürzen. Das Ganze nahm solche Ausmaße an, dass sie morgens nicht mehr aus dem Bett kam, weil ihr Rücken und Beine vom vielen Fallen auf dem Sandweg weh taten. Sie überlegte, ob sie einen Stock mit in die Träume nehmen sollte, und musste lachen.
»Ach schade, dass das Leben nicht wirklich so ist«, sagte sie zu Mansûr.
»Wie ›so‹?«, fragte er.
»So, wie es sich mir im Traum zeigt. Dass ich zum Beispiel Wünsche mit in den Traum nehme und sie wahr werden.«
Sie erzählte von dem Traum, in dem ein Stock sie davor bewahrte, auf den nächtlichen Wegen hinzufallen, und sie das abweisende Leben ertragen ließ, das ihr erst seit dem Erscheinen der blauen Frau wieder zulächelte.
»Ich wünschte, wir könnten zurück ins Masâbki-Hotel!«, sagte sie.
»Wieso?«, fragte er.
»Dann wäre dein Bruder nicht tot, und wir müssten nicht nach Jaffa gehen.«
»Der Beschluss, nach Jaffa zu gehen, steht«, erklärte er. »Ein Zurück gibt es nicht mehr. Ich kann nicht. Mein Leben lang bin ich vor der Wahrheit weggelaufen. Mein Bruder hat sich ihr ganz allein gestellt. Jetzt ist er tot. Und ich muss tun, was zu tun ist.«
»Und was geschieht danach?«, fragte sie.
»Ein Danach gibt es nicht«, sagte er. »Die Juden wollen uns aus dem Land jagen. Sollen wir das tatenlos zulassen?«
»Es ist unglaublich!«, sagte sie. »Aber was können wir tun?«
»Wir können kämpfen«, sagte er.
»Und wenn wir kämpfen, können wir da etwas verändern?
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