Als schliefe sie
gingen sie. Milia biss sich auf die Lippen, wollte trinken, fand aber neben dem Bett kein Wasserglas. Sie schloss die Augen und sah ihn. Nadschîb. Staubbedeckt steht er da. Er kommt näher, setzt sich zu ihr auf das Bett und weint.
»Warum weinst du? Was machst du hier? Los, geh wieder zu deiner Frau. Es ist vorbei. Ich lebe jetzt hier und du dort.«
Er hebt die Hand, ergreift ihre. Sie spürt sein Herz in den Fingerspitzen klopfen. Ihr ist zum Weinen zumute. Sie fragt nicht, warum er das getan hat, sagt auch nicht, dass ihr das Herz damals brach. Wie hätte sie es ihm erklären sollen? Erklären, dass ein Herz brechen kann. Dass ein Herz schwerer zu kitten ist als zerbrochenes Glas. »Ich habe mein gebrochenes Herz in Beirut gelassen und hier ein neues gefunden. Nein, mehr als ein Herz kannst du mir nicht brechen. Das tust du mir nicht an!«, sagt sie und zieht die Hand aus der seinen.
Sie öffnete die Augen und sah ihn. Mansûr deckte sie zu.
»Wann bist du zurückgekommen?«, fragte sie. »Ich mache dir gleich Abendessen.«
»Nein, bleib liegen. Ich rufe Nadra«, sagte Mansûr.
»Aber Nadra ist tot«, erwiderte Milia.
»Das nenne ich eine Frau!«, schwärmte Jûsuf.
Wann immer Jûsuf Nadra im kurzen Kleid mit ihren prallen braunen Schenkeln sah, erstarrte er und bekam einen lechzenden Blick. An ihrem Vater konnte Milia sehen, wie sich Augen in Feuerbälle verwandeln und der Körper des Mannes zum Behältnis einer rätselhaften, ihn plötzlich überkommenden Begierde wird. Am Ende starb Jûsuf, berührt von den Händen der fülligen Hebamme, die er sein Leben lang begehrt hatte.
Er fiel zu Boden und blieb reglos liegen. Nadra war zwar nicht dabei gewesen. Trotzdem erzählte sie haarklein, wie er zusammengebrochen und gestorben sei, bis sich ihre Geschichte schließlich als die allgemein anerkannte Version von Jûsufs Tod durchsetzte. Er sei, so Nadras Schilderung, erschöpft heimgekommen und habe niemanden vorgefunden. Die Kinder seien in der Schule und Saada in der Kirche gewesen. Starke Kopfschmerzen hätten ihn gequält. Er habe sich ein Glas Orangenblütenwasser mit warmem Wasser und Zucker, in Beirut »weißer Kaffee« genannt, bereitet und sich dann in den Lîwân geschleppt. Dort sei er bewusstlos zusammengebrochen. Als die Kinder heimkamen, hätten sie ihren Vater auf dem Boden liegend gefunden. Salîm sei sofort zu Nadra gelaufen und Nikola in die Kirche. Nadra traf vor Saada ein. Zu dritt hoben die Hebamme, Salîm und Nikola Jûsuf auf und legten ihn aufs Bett. Ein Schlaganfall, sagte Nadra. Da könne man nichts machen. Es sei hoffnungslos. Als Saada heimkam, berichtete ihr Nadra alles. Wie er erschöpft heimkam, einen weißen Kaffee trank, bewusstlos zusammenbrach. Saada bat Salîm, den Arzt zu holen. Salîm rannte zum Arzt, Nikola in die Kirche. Der Arzt und die Nonne trafen gleichzeitig ein. Der Arzt untersuchte Jûsuf, fühlte den Puls und maß den Blutdruck. Er versuchte ihn wiederzubeleben. Erfolglos. Er sah Saada und die Nonne an und sagte, dass es sich um einen Schlaganfall handle, es werde, so Gott wolle, nicht lange dauern, um es nicht zu einer Qual für den Betroffenen und die Familie zu machen. Der Arzt ging, ohne Bezahlung anzunehmen. Es sei geraten, den Priester wegen des letzten Abendmahls kommen zu lassen, sagte die Nonne. Kurz darauf war das ganze Haus von Weihrauch erfüllt. Jûsuf aber starb nicht. Vier Tage lag er noch im Bett. Nadra besuchte ihn jeden Morgen. Sie tauchte ihren Finger in Wasser und benetzte Jûsuf die Lippen. Am vierten Tag verkündete Nadra, dass es zu Ende sei. So ist er gestorben.
»Er starb, berührt von deinem Finger«, stellte Saada fest.
»Gott sei ihm und uns gnädig«, wünschte die Hebamme mit Tränen in den Augen.
»Sie liebte ihn«, sagte Saada.
»Nein, solche Frauen wissen nicht, was Liebe ist. Sie kennen nur das Eine«, kommentierte die Nonne.
Wer hatte Nadra geholt?
Sie fürchte sich vor der Hebamme, sagte Milia zu Mûsa. »Sie kam und brachte den Tod mit.«
Nadra trug einen Topf mit dampfendem Wasser. Sie krempelte die Ärmel hoch und fing an zu husten. Die Zigarette fiel ihr aus dem Mund in den Krug. Milia hörte das Zischen der erlöschenden Zigarette. Rauch breitete sich im Raum aus.
»Ich will nicht«, schrie Milia und riss die Augen auf.
Sie sah Mansûr neben dem Bett stehen. Um ihn herum Dunkelheit. »Komm, mein Schatz, wir müssen ins Krankenhaus.«
Tante Malvina nahm sie bei der Hand und half ihr auf die Beine.
»Nicht
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