Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
Vom Netzwerk:
Freshmen Orientierung verschaffen sollte, im selben Zelt geschlafen haben. Hannah kann sich nur verschwommen an das Ganze erinnern, an andere Freshmen, die sich alle verzweifelt ins Zeug legten; ihr war gar nicht klar gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt von ihnen allen genau das erwartet wurde. Ihre einzige klare Erinnerung ist, wie sie morgens gegen drei wach wurde, von Mädchen in Schlafsäcken umringt, deren Namen sie nicht kannte, während die Luft im Zelt unerträglich heiß und stickig war. Lange lag sie mit offenen Augen da, bis sie schließlich aufstand, gebückt über Arme und Köpfe hinwegtrat, sich im Flüsterton entschuldigte, wenn die anderen Mädchen sich regten, und durch die Zeltöffnung in die Nacht hinaus gelangte. Sie konnte die Waschräume erkennen: ein Zementbau in dreißig Meter Entfernung, jenseits des Weges. |55| Barfuß ging sie darauf zu. Im Frauenbereich fiel grünliches Licht auf drei Klokabinen, in deren Türen Initialen und obszöne Sprüche eingeritzt waren. Als Hannah ihr Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken betrachtete, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass dieser Moment verginge, dieser Zeitabschnitt für immer aufhörte. Ihre Traurigkeit war mit Händen zu greifen, als könnte Hannah sie packen oder von sich schleudern.
    Am nächsten Morgen kehrten sie zum Campus zurück, und Hannah wechselte kein Wort mehr mit all denjenigen, die sie während dieses Ausflugs gesehen hatte. Manchmal trafen sie dennoch zusammen; zunächst schienen die anderen so zu tun, als erkennten sie Hannah nicht wieder, nach einigen Wochen schien es so, als müssten sie gar nicht mehr so tun, als ob. Bis eines Tages im Januar Hannah von einem Mädchen eingeholt wurde, als sie nach dem Statistik-Kurs den Hörsaal verließ. »Hey«, sagte das Mädchen. »Du warst doch auch dabei, beim Orientierungstrip?«
    Hannah sah sie an, ihren blonden Pony und die braunen Augen. Ihre Gesichtszüge hatten nach Hannahs Empfinden etwas Freundliches, und dann erkannte sie, dass es an den Zähnen lag: die Schneidezähne waren überproportional groß. Aber sie war keineswegs unattraktiv. Sie trug eine weiße Bluse unter dem grauen Wollpullover und Jeans, die offenbar gebügelt waren. Die Art Outfit, die nach Hannahs Vorstellung eher auf eine gemischte Schule in den 50er Jahren gepasst hätte.
    »Ich heiße Jenny.« Das Mädchen streckte die Hand aus, und als Hannah sie schüttelte, staunte sie über Jennys festen Griff.
    »Soll ich dir was gestehen?«, sagte Jenny. »Ich habe keinen Schimmer, worum es in diesem Kurs geht. Wirklich keinen blassen Schimmer.«
    |56| Dass Jennys Geständnis so harmlos ausfiel, war erleichternd und enttäuschend zugleich. »Es ist ja auch ziemlich verwirrend«, sagte Hannah.
    »Weißt du, ob es dazu eine Übungsgruppe gibt?«, fragte Jenny. »Oder hättest du Lust, mit mir gemeinsam zu üben? Zu zweit ist es vielleicht einfacher.«
    »Oh«, sagte Hannah. »Einverstanden.«
    »Ich sterbe vor Hunger«, sagte Jenny. »Hast du schon zu Mittag gegessen?«
    Hannah zögerte. In die Cafeteria ging sie nur zum Frühstücken, weil man dann alleine sitzen konnte, sie war nicht die einzige. »Ja, hab schon«, antwortete sie und bereute es sogleich. In ihrem Zimmer aß sie mittags und abends Bagels und Obst. Sie hatte es allmählich satt. Sie wollte etwas Heißes oder Saftiges – einen Hamburger oder Pasta. »Aber vielleicht am Mittwoch, nach dem Kurs«, sagte Hannah.
    »Ich geb dir meine Nummer«, erwiderte Jenny. Sie standen am Weg, der zur Cafeteria führte. Und nachdem sie Hannah einen Zettel in die Hand gedrückt hatte, sagte sie: »Wir sehen uns dann im Kurs – falls ich die Einführungslektüre lebend überstehe.«
    Auf dem Weg ins Wohnheim dachte Hannah:
eine Freundin
. Es erschien ihr wie ein Wunder. Früher hatte sie sich vorgestellt, wie sie auf dem College Leute kennenlernen würde, so mühelos wie gerade eben, aber bisher hatte es sich kein einziges Mal ergeben. Sie hatte gesehen, wie andere Studenten das erlebten, aber ihr passierte so was nie. Das eine Problem war, dass man ihr zufällig ein Einzelzimmer zugewiesen hatte. Das andere war Hannah selbst. Früher hatte sie durchaus Freunde gehabt – nicht viele, aber einige –, und sie war überzeugt gewesen, dass es auf dem College noch viel einfacher sein würde als in der High School. Einmal in Tufts angekommen, war sie allerdings |57| keinem der Clubs beigetreten. Sie suchte kein einziges Gespräch. Von Anfang an ging Hannah nicht mit,

Weitere Kostenlose Bücher