Also lieb ich ihn - Roman
das sicherste Zeichen bei ihrem Vater sind die Nasenlöcher. Jetzt blähen sie sich auf, wie bei einem Stier. »Ich weiß nicht, was es mit deiner sogenannten Pasta-Stimmung auf sich hat. Was ich aber ganz bestimmt weiß, und das werde ich dir jetzt verraten, ist, dass diese Ravioli sechzehn Dollar kosten. Ich weiß auch, dass ich sehen will, wie du diese Ravioli zu dir nimmst, und zwar jeden einzelnen Bissen.«
|113| Hannah verspürt zugleich den Drang, laut aufzulachen und in Tränen auszubrechen. »Ich bin einundzwanzig«, sagt sie. »Du kannst mich nicht zwingen, meinen Teller leer zu essen.«
»Tja, Hannah« – jetzt spricht er in seinem gespielt lässigen Tonfall, der souverän wirken soll,
als Klügerer lenke ich gern ein
, allerdings bedeutet dieser Tonfall in der Regel, dass er keineswegs einlenken wird –, »ich will dir erklären, wo das Problem liegt. Wenn ich sehe, wie leichtfertig du mit Geld umgehst, drängt sich mir doch die Frage auf, ob ich in diesem Sommer tatsächlich deine Miete übernehmen soll, damit du dich nach Herzenslust in einer Werbeagentur austoben kannst? Vielleicht schade ich dir ja nur, wenn ich dich zu sehr verwöhne.« Auch das ein Markenzeichen ihres Vaters – die Eskalation. So wächst jeder Streit unweigerlich über den ursprünglichen Anlass hinaus, so erstrecken sich die Vorwürfe gleich auf die geballten Defizite seines Gegenübers, die ja hinter dieser vermeintlich eklatanten Missachtung seiner Person stecken müssen.
»
Du
hast mir doch geraten, ein unbezahltes Praktikum anzunehmen«, erwidert Hannah. »
Du
meintest, das würde sich in meinem Lebenslauf besser machen, als wenn ich Kindermädchen spiele.«
Sie mustern einander über den Tisch hinweg. Eine Kellnerin in schwarzen Hosen, weißem Hemd und schwarzer Schürze kommt mit einem Tablett vorbei. Stumm zeigt Hannahs Vater auf den Ravioli-Teller.
Unter dem Tisch knüllt Hannah ihre Serviette zusammen, während sie sich im Stillen dazu anhält, ja nicht ihre Handtasche zu vergessen, wenn sie sich zum Gehen erhebt. Sie schluchzt kurz auf, dann sagt sie: »Ich werde nicht aufessen. Und du brauchst meine Miete für den Sommer nicht zu bezahlen. Das war von vornherein keine |114| gute Idee. Du brauchst dieses Jahr auch meine Studiengebühren nicht zu bezahlen.«
Ihr Vater wirkt sowohl schockiert als auch entzückt, als hätte sie ihm gerade einen versauten, aber extrem komischen Witz erzählt. »Wow«, sagt er. »Da wollte ich meine sechzehn Dollar nicht verschwenden – und spare auf einen Streich dreißigtausend. Jetzt musst du mir nur noch erklären, wo du diese Summe hernehmen willst? Glaubst du etwa, deine Mutter kann das aus dem Ärmel schütteln?«
Seit der Scheidung sind Hannah die finanziellen Verhältnisse ihrer Mutter ein Rätsel. Vor Jahren hat sie einen Job in einer Boutique angenommen, in der sie vier Tage die Woche feines Leinen und teure Seifen verkauft, allerdings scheint ihre Mutter einen beträchtlichen Teil ihres bescheidenen Lohns eben dort wieder auszugeben: Die Badezimmer in ihrem Reihenhaus sind alle reichlich mit bestickten Handtüchern und britischen Lotionfläschchen ausgestattet. Natürlich gab es die Unterhaltszahlungen sowie eine Erbschaft, als Hannahs Großeltern mütterlicherseits beide vor ein paar Jahren starben, trotzdem kommt es Hannah so vor, als pflegten sie eher eine gutbürgerliche Fassade, als dass sie wirklich materiell abgesichert wären. Sie ahnt allerdings auch, dass diese gutbürgerliche Fassade entscheidend dazu beiträgt, ihre Mutter bei Laune zu halten, und so sind diese Ausgaben vielleicht doch ganz sinnvoll.
Wie dem auch sei: Hannah steht jetzt auf. Sie hängt sich die Handtasche über die Schulter. »Da werde ich mir wohl was einfallen lassen müssen«, sagt sie. »Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben.«
Vormittags um halb elf ist die Agentur immer noch wie ausgestorben – es ist der Freitag vor dem 4. Juli. Am anderen Ende des Flurs schaltet jemand das Radio ein; der |115| Sender muss auf die Seventies spezialisiert sein, wie Hannah nach dem fünften oder sechsten Song feststellt. Gegen elf taucht Sarie auf, die andere Praktikantin, die bald ihr Studium an der Northeastern University abschließen wird. Sarie steht in der imaginären Tür, die im Großraumbüro zur Praktikantenbox führt.
»Erst holt er mich mit Monsterverspätung ab«, erzählt sie. »Kaum sitze ich im Wagen, sagt er: ›Hunger hab ich eigentlich nicht. Wie wär’s mit einem
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