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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Mutter Fig diese Tasche vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt hat? Es verblüfft sie, dass Fig die Tasche tatsächlich benutzt.) Figs glatte lange braune Haare wehen wild durcheinander, und zunächst sieht Hannah nichts anderes, während Fig durch den Vorgarten sprintet. Erst nachdem Fig die hintere Tür von Henrys Auto geöffnet und ihre Tasche auf den Sitz geschleudert und Platz genommen und gesagt hat: »Losfahren. Henry, fahr endlich« |105| – und sich Hannah im Beifahrersitz umdreht, fällt ihr auf, dass Fig an der Lippe verletzt ist. Links an der Unterlippe: ein waagerechter Schnitt, beidseitig von glänzenden Blutlinien gesäumt; eine unregelmäßige dunkle Stelle aus angetrocknetem Blut liegt unter dem Schnitt. Auch aus ihrem Mundwinkel wächst ein roter Fleck und breitet sich immer mehr aus, und innerhalb dieses Flecks sind einige noch rötere Pünktchen auszumachen, wie winzige Sommersprossen. Das Auto steht immer noch: Auch Henry hat sich umgedreht. Fig weint nicht, sie scheint auch vorher nicht geweint zu haben, und sie wirkt keineswegs verängstigt. Sie wirkt in erster Linie ungeduldig.
    »Was zur Hölle ist eigentlich los?«, fragt Henry.
    »Komm ja nicht auf die Idee, da reinzugehen«, sagt Fig. »Fahr los oder gib mir die Schlüssel, damit ich fahren kann.«
    »Hat dich dieses Schwein etwa geschlagen – hat er dich geschlagen?« Henry sieht halb entsetzt, halb ungläubig drein; er ist verwirrt.
    »Können wir jetzt endlich los?«, sagt Fig. Dann hebt sie die Hände, sagt mit einem Ausdruck tiefer Verächtlichkeit: »Ich bin hingefallen« und zeichnet dazu Gänsefüßchen in die Luft.
    Hannah weiß nicht, ob Fig sich über ihre Anteilnahme mokiert oder bloß über die Vorstellung, dass sie sich überhaupt die Mühe macht, ihre verletzte Unterlippe mit einem Unfall zu erklären. »Fig, ist alles in Ordnung?«, fragt sie. »Bist du sicher – oder sollen wir dich ins Krankenhaus fahren?«
    Fig rollt mit den Augen. (Ob Henry gerade auch das Gefühl hat, Fig wäre die Tochter und Hannah und er wären die Eltern? Und zwar keiner süßen sechsjährigen Tochter mit Zöpfchen, sondern einer kampflustigen Teenagerin.) »Ihr solltet euch beide so langsam berappeln«, |106| sagt Fig. »Zum tausendsten Mal, können wir jetzt bitte fahren?«
    Henry wendet sich schließlich wieder dem Steuer zu, doch Hannah sieht, wie intensiv er Fig im Rückspiegel mustert. Als er den Rückwärtsgang einlegt und das Auto aus der Auffahrt auf die Straße zurücklenkt, entspannt sich Hannah zumindest körperlich: Mark Harris kann ihnen jetzt nicht mehr entgegentreten, Henry wird auch nicht mehr versuchen, sich Zugang zum Haus zu verschaffen.
    »Ach übrigens«, sagt Fig auf der Rückbank. »Danke fürs Abholen.« Sie scheint fast normal sprechen zu können. Wenn Hannah sie nicht sähe, würde sie höchstens vermuten, dass ihre Cousine mit vollem Mund redet.
    »Fig, du hättest mir was sagen sollen«, setzt Hannah an. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
    Henry schüttelt den Kopf. »Dieser Typ ist doch ein echter Neandertaler.«
    »Na und?«, sagt Fig. »Mark ist noch viel übler dran als ich, das könnt ihr mir glauben.«
    Henry wirft einen Blick über die Schulter. »Und das macht dich stolz?«
    Fig hörte sich tatsächlich so an, als wollte sie mächtig angeben.
    »So brauchst du wenigstens meine Ehre nicht mehr zu retten, oder was immer du dir gedacht hast«, sagt Fig. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    »Wie man sieht«, brummt Henry.
    »Weißt du was, Henry?«, erwidert Fig. »Manchmal hasse ich dich.«
    Als beide daraufhin verstummen, wird Hannah klar, dass die Springsteen-CD unablässig läuft, seit sie und Henry Boston verlassen haben; inzwischen dürften sie sie mehrmals durchgehört haben. Nach einigen Minuten auf |107| der Hauptstraße biegt Henry rechts zu einer Tankstelle ab.
    »Gute Idee«, sagt Hannah. »Fig, hier können wir dir ein Pflaster oder so besorgen.« Später wird Hannah sich insbesondere wegen dieser Bemerkung wie eine Idiotin vorkommen. Unter anderem liegt es daran, dass sie Situationen nach dem Augenschein bewertet. Wenn Fig und Henry sich anbrüllen, schließt Hannah daraus, sie seien wütend. Noch denkt sie wirklich, dass sie sich nach einem Glas Mineralwasser alle beruhigen werden und die Rückfahrt nach Boston sich angenehmer gestalten könnte; Henry wird Fig bei ihrem Wohnheim absetzen, dann wird Hannah wieder in den Wagen steigen, sie und Henry werden zum Abendessen ausgehen, und damit

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