Also lieb ich ihn - Roman
denen die Peinlichkeit ihrer Worte oder auch ihrer Art zu kichern auffallen würde.
»Vielleicht hab ich tatsächlich was dabei«, sagt er. »Warte.« Er rollt sich auf die Seite und greift in seine Potasche.
Da klappt ein Zeitfenster auf, das sich gleich wieder zu schließen droht. Wenn sie überhaupt etwas sagen sollte, dann jetzt. »Übrigens«, hebt Hannah an, und schon klingt ihre Stimme so, als würde sie Lois die Sitzungsprotokolle überreichen, »sollte ich es dir vorher sagen. Es ist keine große Sache, aber ich hatte noch nie Sex.«
Daraufhin entsteht eine solch ausgedehnte Pause, dass Hannah allmählich glaubt, Ted habe sie gar nicht gehört; sie kommt zu dem Schluss, dass es vielleicht keine gute Idee ist, es ihm zu erzählen.
»Du meinst«, und da erkennt sie bereits an seinem Tonfall, dass er sie sehr wohl gehört hat, »du bist … du bist Jungfrau? Hab ich das richtig verstanden?«
»Na ja, ich mag das Wort nicht. Ich mag es schon nicht, wenn von einem jungfräulichen Blatt Papier die Rede ist. Aber es stimmt, ja.«
»Bist du gläubig?«
»Nein«, sagt Hannah.
»Und du bist was – im ersten Studienjahr oder im zweiten?«
|131| »Ich mach bald meinen Abschluss.«
»Wurde dir – ich will ja nicht indiskret sein, aber hat dir mal ein Mann übel mitgespielt?«
»Meinst du so was wie – sexuelle Belästigung?«, fragt Hannah. Zuvor zitterte ihre Stimme noch leicht, doch jetzt klingt sie wieder fest und klar. »Bestimmt meinst du so was.«
Er schweigt.
»Nein«, sagt sie. Sie will darüber kein Wort mehr verlieren. Es ist alles gelaufen. Dieser Moment ist unwiderruflich vorbei.
»So schmeichelhaft das für mich ist«, sagt Ted, »denke ich, du solltest dein erstes Mal mit dem Mann erleben, den du liebst.«
»Wer hätte gedacht, dass du so altmodisch bist?«
»Hannah, du bist toll.« Teds Stimme klingt so ernst; dabei ist sie so fistelig wie eh und je, eher fisteliger. »Ich mag dich sehr. Es ist bloß, unter diesen Umständen –«
»Warum gehst du nicht einfach?«
»Komm schon. Wir können trotzdem unseren Spaß haben.«
»Glaubst du?«, fragt Hannah. »Glaubst du das wirklich?« Obwohl sie ihren niederen Instinkten nicht nachgeben will, fährt sie fort: »Wenn du Schlampen bevorzugst, hättest du dich eben an Sarie halten müssen.«
Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile sieht er Hannah wieder direkt an. Selbst in der Dunkelheit ist dieser Blickkontakt unerträglich. Sie schaut weg. Als sein Körper sich wenige Sekunden später vom Bett erhebt, nimmt sie ihn eher als Schatten denn als einen wirklichen Menschen wahr.
Nun steht er da, stopft sich das Hemd in die Hose, zieht seine Schuhe an. »Wir sehen uns«, sagt er. »Danke, Hannah.« Im Stillen fügt sie hinzu:
für nichts und wieder
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nichts.
Fairerweise muss sie ihm zugestehen, dass sein Tonfall nicht sarkastisch klingt. Bloß distanziert. Er verlässt das Zimmer, dann geht die Wohnungstür auf und fällt wieder ins Schloss. Als erstes fällt Hannah ein, dass heute ja Freitag ist und ihr immerhin das Wochenende bleibt, bevor sie das nächste Mal ins Büro muss.
Sie liegt genauso da, wie er sie verlassen hat, mit halb ausgezogener Bluse, offenem BH und gespreizten Beinen. Wie lange sie in diesem Zustand verharrt, ist schwer zu sagen; später hört sie, wie Knallkörper abgefeuert werden – ganz in der Nähe, vielleicht sogar im Innenhof unter ihrem Fenster –, und ihr Zimmer gleißt weiß auf, wie bei Gewitter, wenn es blitzt. Was sind das für Vollidioten, die am 3. Juli immerzu Knallkörper abfeuern müssen?
Unmittelbar vor diesem Sommer hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas Neues beginnen, dass ihr Leben sich nun ändern würde. Schließlich blieb sie in Boston, statt nach Hause zu fahren, teilte sich mit Jenny und Kim diese Wohnung zur Untermiete, und sie begann ein Praktikum. Sie hatte sich so viel erhofft. Hannah denkt an diesen Tag im Mai zurück, nach dem Mittagessen mit ihrem Vater. Das Restaurant war in der Spruce Street, und nachdem sie vom Tisch aufgestanden war, lief sie – zitternd – über die Twentieth nach Norden und bog dann rechts in den Rittenhouse Square ein. Der Park war voller Büroangestellter, die im Freien aßen, voller obdachloser Männer, die, von ihren Habseligkeiten umstellt, auf Bänken saßen, voller kleiner Kinder, die um die Skulpturen herumrannten. Als sie den Park durchquert hatte, trat sie auf die Walnut; unterwegs kaufte sie eine Flasche Wasser bei einem fliegenden Händler. Es
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