Alta moda
wunderhübsche Kinder gesehen. Man wunderte sich nicht, daß die Contessa sie so oft hatte fotografieren lassen. Inmitten der unzähligen Farbfotos stach ihm ein vergrößertes Schwarzweiß-Porträt ins Auge: die Tochter im Tutu aus hauchzartem Tüll, mit gleißenden Lichteffekten auf ihren Spitzenschuhen und dem aufgesteckten Haar, die Figur dazwischen nur ein schemenhafter Schatten. Offenbar eine Aufnahme aus jüngerer Zeit.
»Ist die Signorina Tänzerin?«
»Sie lange Zeit getanzt, ja. Aber jetzt nix mehr. Muß lernen für Prüfung an Universität.« Das Mädchen zog schluchzend eine Grimasse.
»Ja, das ist jammerschade«, sagte der Maresciallo zustimmend. Und mit einem letzten Blick auf das zauberhafte Bild setzte er hinzu: »Aber heutzutage brauchen die jungen Leute eine abgeschlossene Ausbildung…«
Zwischen bodenlangen Musselinportieren schien die Wintersonne auf das große Bett mit der Tagesdecke aus heller Seide. Vielleicht war der Anblick dieses makellosen, so lange schon unbenutzten Bettes zu viel für das arme Ding, denn plötzlich brach das Mädchen in noch lauteres Schluchzen aus. »Meine Signora! Meine Signora! Ach, was soll jetzt nur aus mir werden?«
Sie war so klein und zierlich, daß sie mit ihrem kurzen glatten Haar fast noch wie ein Kind wirkte. Der Maresciallo streckte unwillkürlich die Hand aus und strich ihr tröstend über den Kopf.
»Aber, aber… nicht doch. Es wird schon alles wieder gut werden.« Er hatte genügend Erfahrung auf dem Sektor, um vorsorglich nachzuhaken: »Sie machen sich doch keine Sorgen wegen Ihrer Papiere, oder? Wenn doch, dann könnte ich versuchen…«
»Nein!« Fast hätte sie ihn angeschrien. »Meine Signora, sie tun alles für mich – Arbeitserlaubnis, alles! Ich weinen um meine Signora, weil die umbringen meine Signora!«
»Nein, nein… Wir holen sie wieder nach Hause. Aber nun hören Sie mir gut zu: Wir haben eigens ausgebildete Hunde, die uns helfen werden, Ihre Signora zu finden, und Sie können den Hunden helfen, wenn Sie mir ein Kleidungsstück von ihr mitgeben. Verstehen Sie?«
»Ja, Signore.«
»Etwas, woran die Hunde Witterung aufnehmen können… verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, Signore.«
Der Maresciallo seufzte. Er begriff, daß er ihr »Ja, Signore« selbst dann noch zu hören bekäme, wenn er sie auffordern würde, aus dem Fenster zu springen. Aber sie würde sich dann ebensowenig vom Fleck rühren wie jetzt. Aber sein Capitano hatte ihn hierher geschickt, um Hürden wie diese zu nehmen. Einen Versuch würde er noch machen, und wenn auch der mißlang, mußte er wieder nach der Tochter schicken.
»Wie heißen Sie?«
»Sylvia, Signore.«
Er reichte ihr sein großes weißes Taschentuch.
»Danke, Signore.«
»Nun falten Sie’s schön auseinander und trocknen sich die Tränen ab.«
»Ja, Signore.« Sprach’s und steckte das Taschentuch, ganz klein zusammengerollt, in ihre Schürzentasche, ehe sie sich mit Handrücken und Ärmel die Augen trockenrieb.
»So, Sylvia, und nun zu den Kleidern Ihrer Signora. Kleider, Anziehsachen…« Er sah sich suchend um, konnte jedoch kein Fitzelchen Stoff entdecken.
Sylvia trat an einen Wandschrank mit einer Vielzahl weißgoldener Schiebetüren und öffnete eine. Das war immerhin ein Fortschritt.
»Meine Signora, sie hundert und mehr Kleider«, schluchzte sie stolz. »Viele, viele hundert…« Sie öffnete weiter Tür um Tür, bis sie plötzlich ein langes, duftiges und sehr durchsichtiges Etwas zum Vorschein brachte.
»Das sie zieht an für Mister Patrick aus Amerika. Meine Signora sich immer machen sehr schön für Mister Patrick… O Madonna, meine Signora!« In Gedanken an die furchtbare Wirklichkeit brach Sylvia erneut in Tränen aus. Das duftig-durchsichtige Neglige entglitt ihren kleinen Händen.
Der Maresciallo hob es auf. Doch da es augenscheinlich frisch aus der Wäsche kam, konnte er nichts damit anfangen.
»Wäschekorb«, sagte er und packte das Mädchen an der Schulter. »Wo tut deine Signora die schmutzige Wäsche hin?« In den zehn Tagen hatte das Mädchen wahrscheinlich alles gewaschen, denn sie sah ihn ganz unglücklich an. Aber dann öffnete sie eine Tür und führte ihn in ein sehr geräumiges, ganz in Weiß und Gold gehaltenes Bad.
Ein Wäschekorb! Der Maresciallo öffnete ihn nicht gerade hoffnungsvoll, aber siehe da: Ganz unten lagen ein paar Spitzenhöschen. Er fischte sich eines heraus.
Starr vor Entsetzen, überschüttete Sylvia ihn mit einem Schwall von »Meine
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