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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Fotoapparate haltsuchend auf der Balustrade abstützten.
    Der Maresciallo hielt sich an seine bewährte Vernehmungstaktik und schwieg. Leonardo gönnte sich ein paar tiefe Atemzüge, dann schweifte sein Blick nach rechts, hinauf zu den dunkel dräuenden, schneegesprenkelten Gipfeln am Horizont.
    »Sie verträgt die Kälte nicht… Wie oft hat sie uns von ihren ersten Jahren hier erzählt, als sie von Frostbeulen geplagt wurde, ohne zu wissen, woran sie litt… kein Wunder, wo sie doch aus Kalifornien kam. Es liegt an den Fußböden hier bei uns, überall Fliesen und Marmor. In Amerika haben fast alle Häuser Teppichboden… Die werden doch ein geschütztes Versteck für sie haben, oder?«
    Der Maresciallo wich seinem eindringlich flehenden Blick aus. »Die haben selber das größte Interesse an ihrem Wohlergehen. Schließlich müssen sie Ihnen einen Beweis dafür liefern, daß Ihre Mutter am Leben ist – Sie hören bestimmt bald von ihr.«
    »Es ist auch bloß… ich habe mich nie näher mit solchen Fällen befaßt, aber man liest ja in der Zeitung von Geiseln, die in Erdlöchern gefangengehalten werden… Sie meinen, wir werden von ihr hören? Heißt das, die geben ihr Schreiberlaubnis oder so was?«
    »Sie wird schreiben, ja…« Das mit der ›Erlaubnis‹ ließ der Maresciallo auf sich beruhen. Als auch er sich jetzt dem Bergpanorama im Norden zuwandte, fand er die harten Konturen durch seine Sonnenbrille gemildert. Finsteres, unwirtliches Bergland. Freilich gab es auch Leute, die es schön fanden, die von seinen wilden Orchideen schwärmten, von Spargelkraut und undurchdringlichen Wäldern, reich an pfundschweren Röhrenpilzen, Trüffeln und Stachelschweinen. Diese Weite, diese ungezähmte Wildnis, diese malerischen Schafherden – und erst die erfrischende Kühle im Hochsommer!
    Und der Maresciallo stand mit sorgenvoller Miene dabei und sagte nichts weiter als: »Ach, nein, nein…« Seine Betroffenheit ließ sich nicht in Worte fassen. Und wen wollte das verwundern? Da stand man hier zu Füßen von Michelangelos David, blickte hinab auf die schönsten Reichtümer abendländischer Kultur, vor denen sich Touristen aus aller Welt fotografieren ließen, hörte sie unbeschwert lachen, wenn der Wind ihnen die Haare ins Gesicht wehte – während zur gleichen Zeit dort oben in den Bergen womöglich eine wehrlose Frau grausam gefangengehalten wurde, angekettet wie ein Tier. Wenn sie Glück hatte, würde sie für den Rest ihres Lebens einen seelischen Schaden davontragen; wenn nicht, ließen die Wildschweine kein Fitzelchen von ihr übrig – es sei denn, man zählte die Kniescheiben mit, die zu zermahlen sie sich nicht die Mühe machten und die unverdaut wieder ausgeschieden wurden. Der Maresciallo hatte nichts übrig für die toskanischen Berge, ebensowenig wie fürs Aspromonte in Kalabrien oder die Barbagia auf Sardinien. Er wollte es im Sommer nicht so kühl haben, die bittere Armut, in der die Schäfer lebten, hatte für ihn nichts Malerisches, und die undurchdringlichen Wälder boten nicht nur seltener Flora und Fauna Schutz, sondern eben auch Verbrechern. Nein, ihm konnte die ganze Gebirgsromantik gestohlen bleiben.
    Aber er sagte nichts weiter als: »Ach, nein, nein…« Und setzte seine sorgenvolle Miene auf.
    »Mir ist so kalt… wahrscheinlich, weil ich nichts gegessen habe. Könnten wir wieder einsteigen?«
    Als er den Motor anließ, spürte der Maresciallo, wie der junge Mann neben ihm zitterte. Er mußte völlig durchgefroren sein.
    »Ich… entschuldigen Sie.« Nein, es war nicht die Kälte, sondern ein trockenes Schluchzen, das seinen Körper erbeben ließ. »Sie müssen verzeihen, es ist nur… ich schäme mich so: Wie kann ich nach fünf Minuten über die Kälte klagen, wenn sie…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
    »Sie sollten nicht soviel sprechen. Es stimmt schon, Sie müssen erst mal was in den Magen kriegen.«
    »Ich will aber mit Ihnen reden. Es war so grauenhaft, diese ewige stumme Warterei. Wirklich, ich würde gern mit Ihnen sprechen.«
    Und der Maresciallo ließ ihn reden. Statt ihn heimzufahren, brachte er Leonardo nach Borgo Ognissanti, wo der Capitano, der gerade auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft war, sich noch eine Weile zu ihnen setzte, belegte Brote und etwas zu trinken bestellte und ihnen dann sein Amtszimmer überließ.
    Leonardo redete zweieinhalb Stunden ohne Unterbrechung. Mehrmals ließ er den Abend Revue passieren, an dem seine Mutter verschwunden war – wohl in der

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