Alta moda
sie älter sein müsse als ich und trotzdem aussah wie ein Mannequin, einfach makellos.«
»Sie ist ja auch mal Mannequin gewesen.«
»Und dann dachte ich noch: Ich möchte nicht wissen, was unsere beiden mit diesem weißen Zimmer anstellen würden! Sei so gut und ruf sie rein, ja? Das Essen ist fertig.«
Als der Maresciallo am nächsten Morgen auf die Wache kam, rief er als erstes im Krankenhaus Santa Maria Nuova an. Leonardo Brunamonti, hieß es, schlafe noch, werde aber wohl bis zur Visite um elf wieder wach sein und anschließend aller Voraussicht nach entlassen. Der Maresciallo beschloß, ihn abzuholen. Und um ungestört mit ihm reden zu können, würde er nicht den Dienstwagen mit Chauffeur nehmen, sondern den jungen Mann in seinem eigenen Auto heimfahren.
Falls er Leonardo mit seinem Besuch überrascht hatte, so staunte der Maresciallo selber noch weit mehr.
»Ich hätte Sie fast nicht erkannt.«
»Ich hab’s überstanden. Wenn ich erst mal geschlafen habe, ist alles vorbei.« Das abgezehrte Gespenst von gestern hatte sich in einen gutaussehenden jungen Mann mit großen grünlichbraunen Augen verwandelt, und wenn sich in seinem Gesicht noch immer ernste Besorgnis spiegelte, so strahlte es andererseits auch aufrichtige Dankbarkeit aus. »Ich sollte mich selber k.o. schlagen, sobald mein Sehvermögen schwindet, jedenfalls bevor die Kopfschmerzen anfangen. Aber in dem Fall konnte ich einfach nicht… Sie verstehen?«
»Aber ja. Es ist zwar jetzt zu spät für Belehrungen, doch wie ich Ihrer Schwester schon gesagt habe: Ihre Telefonwache war ganz sinnlos. Es wird niemand anrufen. Kommen Sie, mein Wagen steht gleich hier. Ich hoffe, Sie finden mich nicht aufdringlich, aber ich würde wirklich gern mit Ihnen reden…«
»Nein, ich bin froh, daß Sie gekommen sind. Um die Wahrheit zu sagen: Es war Patrick – Patrick Hines –, der darauf bestanden hat, daß wir das im Alleingang durchziehen. Er als Amerikaner hat irgendwie kein Vertrauen in unsere Behörden. Verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage, aber…«
»Nein, genieren Sie sich nicht. Ich höre das nicht zum erstenmal.«
»Verstehen Sie, er geht davon aus, daß ein Privatdetektiv primär in unserem Interesse handelt, während er Ihnen unterstellt, daß Sie in erster Linie darauf aus sind, die Entführer zu schnappen.«
»Womit er zum Teil recht hat«, gab der Maresciallo zu.
»Aber Sie glauben hoffentlich nicht, daß wir einen Fall, bei dem die Rettung des Opfers mißlingt, als Erfolg verbuchen würden?!«
»Nein, aber vielleicht würden Sie doch mehr Risiken eingehen…«
»Wenn Sie Capitano Maestrangelo kennen würden, wüßten Sie’s besser. Im übrigen hat keiner was dagegen, daß Sie selbst jemanden hinzuziehen, solange diese Person mit uns zusammenarbeitet. Aber darf ich Sie bitten, erst mit meinem Capitano zu sprechen und mit dem Staatsanwalt? Wäre das ein akzeptabler Kompromiß?«
»Mehr als das. Um ehrlich zu sein: Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich weiß nicht, wie wir es allein hätten schaffen sollen.«
»Sie hätten’s nicht geschafft. Unmöglich. Die gern zitierten Gegenbeispiele waren nur dem Anschein nach Alleingänge.«
»Wenn Sie es sagen… Würden Sie mir einen Gefallen tun? Könnten Sie einen Moment anhalten? Ich war seit über zehn Tagen nicht mehr an der frischen Luft, und wenn ich heimkomme, muß ich gleich wieder ins Atelier. Ich möchte Sie natürlich nicht aufhalten…«
»Aber kein Gedanke!« Der junge Mann mochte sich vom Migräneanfall erholt haben, doch er war immer noch zu sehr in seinen Ängsten und Sorgen befangen, als daß er den Umweg bemerkt hätte, den der Maresciallo über den Viale Michelangelo machte, obwohl es gestattet war, geradewegs durchs Zentrum zu fahren. Leonardo hatte Zutrauen gefaßt, im Augenblick hörte er auf ihn; das galt es auszunutzen, wer weiß, ob es so bleiben würde, wenn erst dieser Amerikaner auf der Bildfläche erschien. Guarnaccia parkte unterhalb der Piazza della Signoria, und die eisige Zugluft benahm ihnen schier den Atem, als sie aus dem von der Sonne aufgeheizten Auto stiegen.
Schweigend schritten sie die marmorne Balustrade ab. Unter ihnen erstreckte sich ein Mosaik aus roten Dächern und weißglänzendem Marmor, durchzogen vom satten Olivgrün des wasserreichen, majestätisch dahinfließenden Arno. Der Platz war mit großen, leuchtend bunten Reisebussen zugeparkt, und es wimmelte von Touristen mit rotgefrorenen Nasen und vom Wind plattgedrückten Pelzen, die ihre
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