Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
heraufkommen, und es kamen auch keine Schüsse mehr von unten.
Er rannte gebückt über das Flachdach, zwischen Kaminen und Abzugshauben hindurch, bis er eine Tür fand, streckte die Hand aus, drehte den Knopf…
Die Scheißtür war abgesperrt.
Er hatte sich schon vor langer Zeit angewöhnt, immer einen Satz Dietriche bei sich zu tragen, aber er hatte jetzt keine Zeit, sie zu benutzen, und genau in diesem Augenblick hörte er Sirenen. Aber war es möglich, dass die Rothaarige für solche Fälle etwas in der Hinterhand hatte, beispielsweise einen Bundesausweis, den sie den hiesigen Polizisten zeigen konnte? Wenn ja, wäre er im Arsch.
Ry hatte nicht die Absicht, es herauszufinden. Er lief zum nächsten Gebäude hinüber. Es sah nach Eigentumswohnungen aus und hatte einen hübschen terrassierten Garten auf dem Dach. Es war auch praktisch, dass dieses Dach ein Stückchen tiefer lag als sein Dach, aber Mist, verdammt, es mussten gut und gern vier Meter da hinüber sein, und bis zur Gasse hinunter war es weit, sehr weit– mindestens sechs Stockwerke. Er mochte ja ein bisschen bescheuert sein, aber nicht so bescheuert, über einen gottverdammten Abgrund zu springen.
Hinter sich hämmerten Schritte die Feuertreppe herauf. Er schaute sich um und sah einen roten Haarschopf aufleuchten.
Er nahm Anlauf und sprang.
Einen Moment lang schien er buchstäblich in der Luft zu laufen, und er hatte es fast bis nach drüben geschafft, aber dann siegte die Schwerkraft, und er kam nicht weiter vorwärts.
Es gelang ihm gerade noch, eine Dachrinne mit den Fingerspitzen zu erwischen. Er hing einen Moment baumelnd daran, und natürlich begannen seine Finger zu rutschen.
Er verlor seinen Griff, brachte aber die andere Hand an die Regenrinne und hatte diesmal einen besseren Halt. Dann zog er sich aufs Dach und hätte sich fast an einem Tomatenpflock aufgespießt. Er sah nach oben: Da war sie und hatte die Pistole auf seinen Kopf gerichtet.
Er rollte sich hinter eine Reihe hölzerne Pflanztröge mit Palmen, sprang auf die Beine und rannte.
Die Bewohner des Hauses befürchteten offenbar nicht, dass jemand über ihr Dach eindringen könnte, denn es war gottlob unverschlossen. Er fuhr mit dem Aufzug ganz nach unten in die Tiefgarage, dann ging er die Reihen der Autos entlang und schlug auf Kühlerhauben, um die Alarmanlagen auszulösen. Als er die Treppe zur Straße hinaufstieg, führten die Autos unten eine laute, verrückte Oper auf.
Auf The Strand herrschte Chaos. Ein halbes Dutzend Streifenwagen standen um das Café herum, und einer der Beamten schrie in ein Megafon; er befürchtete, dass er es mit einer Geiselnahme zu tun hatte. Doch Ry hätte darauf gewettet, dass nur noch der Typ hinter der Theke und der Junge in dem Gebäude waren.
Ry drängte sich auf dem Weg zu seinem Fahrzeug durch die Menge, bemüht, nicht aufzufallen. Er war klug genug gewesen, einige Blocks entfernt zu parken, bei der Flutmauer, von wo er direkt zur Fähre rasen konnte, die…
Er schaute auf die Uhr. In sechs Minuten abfuhr. Verdammt.
Er begann zu laufen. Jemand rief: » He, Sie!«, und er drehte sich um, aber es hatte nicht ihm gegolten. Er sah jedoch den Typen in dem schwarzen Kapuzenshirt, der die Straße entlangging, während der Hummer neben ihm herkroch.
Die Rothaarige kam die Treppe von der Tiefgarage der Eigentumswohnanlage herauf, sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Waffe in ihrer Hand zu verbergen. Ry zwang sich, wieder langsamer zu gehen, in der Menge unterzutauchen– er wusste jetzt, sie würde ohne zu zögern jeden Unbeteiligten in der Straße erschießen, solange sie nur ihn erwischte.
Verdammt, er musste zu seinem Fahrzeug kommen.
Dann hörte er ein Pferd wiehern. Er wartete, bis die Touristenkutsche neben ihm war, sprang hinein und warf dem verdutzten Kutscher einen Zwanziger in den Schoß.
» Wie schnell läuft Ihr Klepper?«
10
Ry stand am Ende des Piers und sah die Rücklichter der Fähre in die Nacht entschwinden. Er lauschte, bis der Klang der Dieselmotoren erstarb, dann hörte er nichts mehr außer dem Wasser, das an die Pfeiler unter ihm schwappte.
Er hatte das Boot verpasst, das allerletzte, das heute noch fuhr. Nach allem, was er durchgemacht hatte, nachdem er beschossen worden war, sich verbrüht hatte und fast in die Tiefe gestürzt wäre, hatte er doch tatsächlich diese verdammte Fähre verpasst…
Scheinwerfer flammten hinter ihm auf.
Er hatte den Wagen im Leerlauf und mit offener Beifahrertür stehen
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