Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
etwas von einem Vater für mich. Andererseits waren sie nur ein paar Monate verheiratet, bevor wir davonliefen.«
» Ehemann?« Zoe starte ihre Mutter an. » Das ist das erste Mal, dass du etwas von einem Stiefvater erwähnst.«
» Wie gesagt, es war nur für ein paar Monate, und auch in dieser Zeit war er nicht allzu viel zu Hause. Er arbeitete als Location Scout für das Studio und war viel unterwegs, und bevor dir irgendwelche filmreifen Szenarien in den Sinn kommen– nein, er hat sie nicht geschlagen, und er hat mich nie in unangemessener Weise berührt, wie es so schön heißt. Er schien sich meiner Existenz kaum bewusst zu sein.«
» Schläge und Kindesmissbrauch sind nicht die einzigen Gründe, warum Frauen ihre Männer verlassen.«
Anna Larina schüttelte den Kopf. » Wenn du das sagst. Nur war ich dabei, und auf dem Weg aus der Stadt ist sie in dieser Nacht irgendwann an den Straßenrand gefahren und hat sich die Augen aus dem Kopf geheult und verträumt sein Bild angesehen– es war wirklich herzzerreißend. Deshalb glaube ich nicht, dass sie ihn aus eigenem Antrieb verlassen hat.«
» Dass sie ihn liebte, muss nicht heißen, dass sie keinen guten Grund hatte, ihn zu verlassen.«
» Wieder beuge ich mich deinem gewaltigen Erfahrungsschatz, Zoe. Ich weiß nur, sie hat mich und ein paar Sachen in den Wagen geladen, und wir sind pausenlos gefahren– ich meine, wir haben außer für ein paar Nickerchen am Straßenrand buchstäblich nicht angehalten, bis wir in Ohio waren. Und damit sind wir wieder da, wo wir diese kleine Erinnerungsreise begonnen haben, nämlich damit, dass sie mich unter tausend Küssen und dem Versprechen, in ein paar Wochen wiederzukommen, in diesem Waisenhaus abgeladen hat, und ich habe es ihr geglaubt.«
» Aber sie kam nicht wieder. Was also ist passiert? Nein, nicht diese Geschichte von ihrem tödlichen Autounfall. Die Wahrheit.«
» Ich weiß nicht, was aus ihr wurde. Ich habe keinen Grund, in diesem Punkt zu lügen. Ich weiß es einfach nicht. Die Wochen vergingen, dann Monate, Jahre, und die ganze Zeit glaubte ich immer noch, sie würde kommen und mich holen. Keine Anrufe, keine Briefe, nicht einmal eine Karte zum Geburtstag, und ich glaubte immer noch, und eines Tages dann hörte ich einfach auf zu glauben. Ob ich sie für tot hielt? Ich weiß es nicht. Vielleicht hoffte ich es. Ich wusste nur, dass ich für sie tot war.«
Zoe wusste nicht, wie viel davon sie glauben sollte, nur diese letzten Worte– ich wusste nur, dass ich für sie tot war –, die klangen, als würden sie wahrhaftig aus der Tiefe von Anna Larinas Seele kommen.
» Hat sie dir je etwas von ihrer Vergangenheit erzählt? Von ihrer Familie? Woher sie kam?«
Anna Larina drehte sich vom Fenster weg. » Sie hat es nie ausdrücklich gesagt, aber nach dem wenigen, was ich weiß, war sie vermutlich unehelich. Genau wie ich. Sie hat mir immer erzählt, sie sei das einzige Kind ihrer Mutter, und dass ihre Mutter immer davon gesäuselt hatte, sie sei ein gesegnetes Kind aus einer alten und stolzen Linie, und sie dürfe nicht die Letzte sein. Als sei mit ihrer Abstammung eine besondere Bedeutung verbunden, aber was das sein könnte, weiß ich beim besten Willen nicht.«
Aber sie wusste doch etwas, dachte Zoe, denn wieder fing sie diesen Glanz eines geheimen Wissens im Blick ihrer Mutter auf.
» Klingt nett«, sagte Zoe. Es klang auf jeden Fall anders als alles, was Anna Larina ihr bisher erzählt hatte, und Zoe empfand einen tiefen Schmerz über den Verlust dieser Großmutter, die sie nie gekannt hatte. » Was noch? Kam sie hier zur Welt oder in Russland?«
Anna Larina warf Zoe einen ungeduldigen Blick zu, dann zuckte sie mit den Achseln. » Sie kam in Schanghai zur Welt, ausgerechnet. Genau am Tag der japanischen Invasion. Sie hat immer diese verrückte Geschichte erzählt, dass ihre Mutter, die Lena hieß, Lena Orlowa, aus einem Straflager namens Norilsk in Sibirien geflohen sei und zu Fuß den ganzen Weg bis China zurückgelegt habe, so unglaublich es klingt.«
Anna Larina hielt inne und zuckte erneut mit den Schultern. » Irgendwann nach dem Krieg bandelte Lena jedoch mit einem Juwelenhändler aus Hongkong an, und sie und meine Mutter lebten dort mit ihm. Einige Jahre später wollte Lena Fisch direkt von einem Sampan kaufen, rutschte auf der Planke zum Schiff aus, schlug sich den Kopf an und ertrank im Hafen. Ich glaube, meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt fünfzehn, sechzehn Jahre alt. Alt genug
Weitere Kostenlose Bücher