Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Lorenz öffnete die Augen. Sie stand vor ihm, beschattete ihre Augen mit der Hand, trotz des großen Strohhutes.
»Maria?«
»Lorenz, was ist mit dir?« Bärbel sah ihn fragend an.
Lorenz wandte den Blick von ihr ab und sah in das Wasserloch. Er betrachtete sein Spiegelbild, als müsse er prüfen, ob er zwanzig oder vierundsiebzig Jahre alt war. Unter der zerbeulten Mütze sah er einen Vollbart, der auch wieder einmal gestutzt werden wollte. Die das Licht reflektierende Brille erschwerte den Blick auf ein Paar müder Augen, die unter einer runzligen Stirn blinzelten.
»Der in Ehren ergraute Ermittler stellte fest, dass er eher vierundsiebzig war«, murmelte er.
»Wo warst du gerade, mein Freund?«, fragte Gustav und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das unerlaubte geistige Entfernen vom Tatort ist eher meine Domäne, oder?«
»Schon gut«, meinte Lorenz. »Die Sonne hat mich träumen lassen. Vielleicht bin ich etwas müde.« Dann gab er sich einen Ruck und stand auf. »Hindenburgtor ist eine gute Idee. Das ist gar nicht weit von hier, und von dort kenne ich einen Weg durch den Wald zum Restaurant, wo Benny uns abholen wird.«
»Das hört sich doch wunderbar an«, sagte Bärbel. »Und im Wald ist mehr Schatten, das wird uns erfrischen.«
Tatsächlich erreichten sie das große Felsentor, in dessen Sandstein der Name des alten Reichspräsidenten eingraviert war, recht schnell. Jedoch war der Rückweg viel länger, als Lorenz es in Erinnerung hatte. Und so waren alle drei froh, als sie auf dem Kickleyweg den Wald verlassen hatten und im Restaurant
Zum Felsenrundgang
eingekehrt waren.
»Aah«, meinte Gustav, als er das kühle Bier angetrunken hatte. »So ein alkoholfreies Weizenbier hätte es schon immer geben müssen. Was wäre meiner Leber in den letzten sechzig Jahren nicht alles erspart geblieben!«
»Du trinkst doch gar keinen Alkohol, oder?«, fragte Bärbel.
»In den letzten Jahren nur noch sehr wenig, aber in den Jahrzehnten davor umso mehr.«
»Dann war unser Gustav also nicht immer so langweilig wie heute?« Benny Bethge trat an den Tisch der Freunde.
»Ach, unser agiler Hänfling ist da, um die klapprigen Senioren in den Bus zu tragen«, grinste Gustav. »Setz dich und trink was mit.«
»Geht nicht«, entgegnete Benny. »Frau Klinkenberg braucht das Auto gleich wieder für einen weiteren Transport.«
»So verdirbst du uns also den Abschluss unserer Tour«, sagte Lorenz. »Hektik ist etwas, was wir alten Leutchen so gar nicht vertragen.«
»Aber spannende Neuigkeiten im aktuellen Mordfall schon, oder?« Benny stand grinsend da, wissend, dass er Opa Bertold jetzt gepackt hatte. Er wartete noch einen Moment.
»Ja, um Himmels Willen, spuck es aus!«, knurrte Lorenz.
»Ist ja schon gut. Eben ist diese Lisa Wilke verhaftet worden. Sie steht unter dem Verdacht, den alten Floto erschlagen zu haben.«
»Das glaub ich nicht«, meinte Bärbel.
»Aber wenn ich’s sag: Die Bullen haben die Frau abgegriffen, als sie ins Nideggener Rathaus gehen wollte.«
»Nein, das meine ich nicht«, rief Bärbel. »Ich meine, diese Frau ist nie und nimmer die Mörderin. Das passt einfach nicht!«
Lorenz grinste und murmelte leise: »Kommissar Wollbrand hatte großen Spaß an seiner jugendlichen Assistentin. Aber ihre weibliche Intuition nahm er trotzdem ernst. Dieser Fall war noch weit von seiner Aufklärung entfernt, dessen war sich der erfahrene Ermittler sicher.«
12. Kapitel
Die Alten redeten immer noch aufgeregt über die neue Entwicklung, als Benny die Seitentür seines Transporters geschlossen und sich auf den Weg zurück zur Seniorenresidenz gemacht hatte. Sie brauchten nur wenige Minuten für die kurze Fahrt. Noch bevor sie das Heim erreicht hatten, klingelte Bennys Telefon. Er hielt den Wagen an und nahm das Gespräch an.
»Hallo Frau Klinkenberg«, sagte er und schnitt dabei Grimassen, die seine Wertschätzung gegenüber der Heimleiterin verdeutlichen sollten, in Richtung der anderen. In relativ langen Abständen, die Lorenz und den anderen anzeigten, wer in diesem Gespräch die wesentlichen Redeanteile hatte, sagte er: »Klaro.« … »Bin so gut wie da.« … »Heute noch erledigen. Selbstverständlich.« … »Bis gleich.« … »Jawoll.« … »Bis gleich.«
Dann steckte er sein Handy weg und meinte: »Die Chefin vermisst mich und den Transporter schon. Sie erwartet eine dringende Lieferung Krankenbetten vom Floto, und der kommt nicht wegen des Trauerfalls. Jetzt soll ich den Kram
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