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Altenberger Requiem

Altenberger Requiem

Titel: Altenberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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sind Kinder, oder?«
    »Logisch.«
    Wir traten wieder ins Sonnenlicht. Vor dem Dom herrschte reger Betrieb. Eine Gruppe Jugendlicher wanderte vorbei, aus einem Handy plärrte Musik.
    Weiter hinten aus Richtung der alten Klosterpforte waren rüstige Rentner unterwegs - in grauen Bequemschuhen mit Klettverschluss und bunten Rucksäcken auf den Rücken.
    »Warte mal eben«, sagte ich. »Ich frage schnell, wo es zum Märchenwald geht.«
    Ich wandte mich dem Altenberger Domladen zu, der gleich neben dem Eingang zum Dom seine Pforten geöffnet hatte. Ich betrat ein Reich aus Büchern, CDs, Kerzen und allerlei Souvenirs. An der Kasse wurde ich gewarnt: »Sehr geehrter Kunde«, war auf einem Schild zu lesen, »Ladendiebstahl wird bei uns mit ewigem Fegefeuer bestraft.«
    Ich war auf kirchlichem Gebiet, kein Zweifel.
    Wonne stand auf dem Vorplatz und hielt die Augen geschlossen, das Gesicht gen Himmel gereckt. Die Sonnenbrille hatte sie in ihren Ausschnitt gehängt. Ich blieb unwillkürlich stehen, weil ich das Bild nicht zerstören wollte.
    Die Ausflügler um sie herum schienen keine Notiz von ihr zu nehmen - nicht die Fahrradfahrer, die ihre Drahtesel direkt an ihr vorbeischoben und sich nach einer Gelegenheit umsahen, sie abzustellen. Nicht das kleine schwarzhaarige Mädchen, kaum einen Meter groß, das über den Platz tappte und die Rufe der Mutter ignorierte, die auf der angrenzenden Klostermauer saß. Nicht das ältere Paar, das stehen blieb, den Blick zum Dom erhoben, woraufhin der Mann einen farbigen Reiseführer aus seinem Rucksack zog und darin zu blättern begann.
    Wonne stand unbeweglich da wie eine Göttin. Entrückt.
    Mit einem Mal war der Moment vorbei. Sie musste irgendwie gespürt haben, dass ich aus dem Laden getreten war, denn plötzlich kam Leben in sie. Ein paarmal blinzelte sie in den Himmel, dann drehte sie den Kopf und lächelte mir entgegen - mit einem Blick, der alles in mir schmelzen ließ.
    »Und?«, fragte sie.
    »Wir brauchen nicht zum Märchenwald zu gehen. Der Spielplatz ist woanders - in der Nähe des Parkplatzes, wo das Auto steht.«
    Ihre Hand hob sich etwas, näherte sich mir. Und ohne darüber nachzudenken, ergriff ich sie. Ich ließ sie nicht los, als wir langsam zurück zum Wagen gingen, und es kam mir vor, als sei das Kopfsteinpflaster, über das wir schritten, weich wie Watte.
    Manchmal, wenn mein Griff etwas lockerer wurde, hielt Wonne umso stärker fest, und so gingen wir Hand in Hand bis zu dem Kiosk, der sich etwas unterhalb der Straße auf der anderen Seite befand, gleich neben dem Pfad in den Wald, der zu dem Spielplatz führte.
    Als wir losließen, war es keine Trennung, sondern ein Versprechen auf baldige Fortsetzung. Seltsamerweise las ich genau in diesem Moment die Mineralwasserreklame am Dach des Kioskhäuschens »Reginaris - Die gesunde Erfrischung aus der Vulkaneifel«. Ernüchternd.
    Ich deutete zu den Bäumen. »Hier ist es.«
    »Dieser kleine Weg da?« Wonne ging ein Stück auf den Wald zu. »Tatsächlich. Ich kann da hinten schon so was wie einen Sandkasten sehen.«
    Wonne befand sich schon weit hinten zwischen den mächtigen Stämmen, die wie Säulen in das Grün des Waldes strebten. Über uns in den Wipfeln zwitscherten Vögel, und jetzt wurde mir auch das leise Rauschen der Dhünn bewusst. Der Fluss musste ganz nah sein.
    Ich erreichte Wonne, und es war, als erlebte ich eine Variation der Szene auf dem Domvorplatz. Auf ihrem Gesicht lag ein Sonnenfleck, der seinen Weg durch das Blätterdach gefunden hatte. Sie reckte sich nach oben und hielt die Augen geschlossen, als tanke sie aus dem Licht Energie.
    Neben ihr zeichnete sich im Dämmer eines dieser hölzernen Forts ab, wie man sie oft auf Kinderspielplätzen sieht. Es stand in einem großen Sandkasten, zu dem eine Metallrutsche hinunterführte.
    Wonne kam mir vor wie eine Fee in einem Wunderwald. Das kleine Fort war ihr märchenhaftes Schloss, das wie ihr ganzes grünes Reich von der Kraft ihrer Aura beherrscht wurde.
    Plötzlich kam wieder Leben in sie, und sie lief davon - in Richtung Fluss. Sie streifte die Schuhe ab, watete aber nicht ins Wasser, sondern setzte sich an das etwas erhöhte Ufer und tauchte die Füße in die Dhünn.
    »Was sollen wir hier noch mal tun?«, fragte ich.
    »Erst mal nichts«, sagte sie. »Es ist so schön hier.«
    Eine süße Schwäche erfasste mich. Es hatte nicht nur mit dem Eindruck zu tun, den Wonne auf mich ausübte, sondern auch mit der Angst vor dem, was passieren würde, wenn

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