Altenberger Requiem
ihr Blick noch strenger. Ich bemerkte, dass sie große, starre Pupillen hatte, und mir fiel ein, dass so etwas manchmal nach irgendeiner Augenoperation vorkam.
»Ich frage mich auch, woher Sie wissen, dass Klara auf der Suche nach Gabriele war. Reinhold hat Ihnen das nicht erzählt. Der wusste davon sicher nichts.«
»Sie sehen, ich bin in der Lage, auch den verborgensten Informationen auf die Spur zu kommen«, versuchte ich Punkte zu machen und meine Kompetenz zu unterstreichen.
»Davon bin ich überzeugt. Das bedeutet aber nicht unbedingt etwas Gutes.«
»Wer war denn nun Gabriele? Auch wenn ihr Verschwinden und Klara Hackenbergs Interesse an ihr nichts mit dem Mord zu tun haben - bitte erzählen Sie es mir. Ich muss mir ein Bild machen, wer Ihre Freundin war.«
Mein Kaffee kam. Als die Kellnerin gegangen war, begann Frau Siebert zu berichten.
»Gabriele war eine entfernte Großnichte von Klara. Das genaue Verwandtschaftsverhältnis kenne ich nicht. Sie hatte keine Eltern, beide waren schon früh umgekommen. Jedenfalls wohnte sie als Mieterin in dem Haus, das Klara und ihr Sohn heute bewohnen. Ich meine, das sie bewohnte. Bis sie sich dann irgendwann in diesen Musiker verliebte und mit ihm nach Österreich ging.«
»1975«, sagte ich.
»Sie sind gut informiert. Das genaue Jahr hätte ich nicht gewusst.«
»Und der Musiker hieß Sandro Marino.«
»Möglich. Klara hat mir nicht gesagt, dass es ein Italiener war. Aber das passt ja.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, die können den jungen Frauen ganz schön den Kopf verdrehen.« Sie spießte ein paar Salatblätter auf.
»Seltsam, dass sie mit einem Italiener nach Österreich ging«, sagte ich. »Wieso nicht nach Italien?«
»Soweit ich weiß, machte der Mann klassische Musik. In Österreich gibt es die großen Opernhäuser. Waren Sie schon mal bei den Salzburger Festspielen?«
»Nein«, sagte ich.
»Dann haben Sie etwas verpasst.«
Der Ansicht war ich nicht. Mir war schon der Anblick in den Illustrierten ein Graus: all diese Promis in Abendroben.
»Sie wissen also nichts über diesen Mann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie sollten sich an dieser Geschichte nicht festbeißen.«
»Wo hat Gabriele Marino kennengelernt? Hat er irgendwo in der Gegend ein Konzert gegeben? Hat sich Frau Hackenberg mit ihm getroffen? Sie stand doch mit ihm in Kontakt…«
»Wenn ich mich richtig erinnere, hat er bei einer Aufführung im Altenberger Dom mitgewirkt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Es ging Klara nicht darum, diesen Mann zu finden, sondern Gabriele. Nachdem sie nach Österreich gezogen war, hörte sie kaum noch etwas von ihr.«
»Das heißt, der Kontakt brach ab?«
»Ja, leider. Klara war deswegen auch gekränkt, aber sie hat es dann auf sich beruhen lassen. Gabriele schien ja glücklich mit ihm gewesen zu sein. Und darüber hat sie eben ihre alte Tante vergessen. So etwas gibt es häufig.«
»Was genau hat Gabriele gemacht?«
»Herr Rott - dieser Mord ist in der Gegenwart geschehen. Was nützt denn das Herumstochern in der Vergangenheit?«
»Können Sie es mir nicht trotzdem sagen?«
»Gabriele hatte keinen ordentlichen Beruf. Sie wollte wohl Goldschmiedin werden und hat auch Schmuck hergestellt. Es waren aber mehr Basteleien. Ich glaube, Klara hatte einen Ohrring von ihr. Billiges Zeug, das man nicht tragen kann. Kinderkram.«
»Wie alt war sie, als sie wegging?«
»Das hat mir Klara nicht erzählt. Aber ich denke, so Anfang zwanzig. Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Auch mit mir sprach Klara kaum darüber.«
»Und Gabrieles Nachnamen kennen Sie auch nicht?«
»Leider nein. Vielleicht heißt sie ja auch Hackenberg.«
»Gut. Sprechen wir über Ihre Freundin. Wie haben Sie sie kennengelernt?«
»Wir waren Kolleginnen. Sie arbeitete bis zu Ihrer Rente in einer Bensberger Druckerei.«
»Wie heißt das Unternehmen?«
»Die Firma hieß Buchheim und Co., aber sie ist schon vor zehn Jahren bankrott gegangen.«
»Gibt es andere Kontakte? Andere Freunde? Freundinnen?«
»Nicht dass ich wüsste. Klara war sehr in sich gekehrt. Sehr gläubig. Einsam. Kein Wunder, bei so einem Sohn.«
»Gibt es zu dem Sohn auch einen Vater?«
»Da bin ich sicher.« Sie blickte mich ironisch an. »Aber wer er ist - das, Herr Rott, weiß ich nicht. Darüber konnten sie mit Klara nicht sprechen. Und es hat auch sonst nie einen Mann in ihrem Leben gegeben. Nicht so lange ich sie kannte. Und das waren immerhin fünfunddreißig Jahre. Sie hatte ihr ganz eigenes Leben.
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