Alter schützt vor Scharfsinn nicht
persönlichen Papiere. Dann habe ich weiter nachgedacht. Es bleiben uns immer noch die Bücherregale und die Bücher. Und mit dem Bücherzimmer auf dem Dachboden sind wir auch noch nicht fertig.«
»Nein? Ich hatte es so gehofft!«
»Das unterste Fach fehlt noch.«
»Das ist doch sehr einfach. Man braucht auf keine Leiter zu klettern.«
»Eben. Darum bin ich raufgegangen, habe mich auf den Boden gesetzt und es durchgesehen. Das meiste waren alte Predigten, von einem Methodistenpfarrer. Wenigstens halte ich es dafür. Sie sind ziemlich uninteressant und darum habe ich sie alle rausgenommen und auf dem Boden gestapelt. Dabei habe ich eine Entdeckung gemacht. Unter den Büchern hatte jemand ein großes Loch ausgehöhlt und Zeug reingestopft, meistens völlig zerrissene Bücher. Eines war ziemlich groß und hatte einen braunen Papierumschlag. Ich habe es mir näher angesehen. Man kann ja nie wissen, nicht? Rate mal, was es ist?«
»Keine Ahnung. Die Erstausgabe von Robinson Crusoe. So was Wertvolles vielleicht?«
»Nein. Es ist ein Geburtstagsbuch.«
»Ein Geburtstagsbuch? Was ist das?«
»Früher war so was mal Mode. Dieses hier ist schon sehr alt. Ich glaube, es geht bis auf die Parkinsons zurück. Es sieht ziemlich mitgenommen aus. Zum Aufheben war es wohl nicht mehr schön genug und ich glaube auch nicht, dass es noch jemand interessierte. Aber es stammt aus jener Zeit. Vielleicht lässt sich was drin finden.«
»Ja? Meinst du, dass jemand was hineingelegt haben könnte?«
»Das dachte ich. Aber natürlich ist nichts drin. So einfach ist es nicht. Trotzdem werde ich es sehr genau unter die Lupe nehmen. Bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen. Es könnte brauchbare Namen enthalten.«
»Ja, möglich.« Tommy hörte sich skeptisch an.
»Sonst habe ich leider nichts gefunden. Man sollte jetzt wohl noch die paar Schränke durchsuchen, die wir den Vorbesitzern abgekauft haben.«
»Und die übrigen Möbel?«, fragte Tommy. »Sie haben oft Geheimfächer.«
»Nein, Tommy, das hat keinen Sinn. Die haben wir alle mitgebracht. Das Einzige, was hier wirklich noch alt ist, ist das Gerumpel in dem Glashaus. Spielsachen und verwitterte Gartenbänke und so etwas. Antike Möbel gibt es keine. Der letzte Bewohner hat alles mitgenommen oder verkauft. Seit den Parkinsons müssen so viele Menschen hier gewohnt haben, dass von ihnen bestimmt nichts mehr da ist. Ich habe übrigens noch was gefunden, aber ich weiß nicht, ob es uns weiterhilft.«
»Was?«
»Menükarten aus Porzellan.«
»Menükarten aus Porzellan?«
»Ja. In dem alten Speisezimmerschrank, den wir nicht aufbekommen konnten. Weißt du, sie hatten den Schlüssel verloren. Ich habe ihn in einer alten Schachtel gefunden, übrigens auch im Ka-Ka, und ihn geölt; das Schloss funktionierte tatsächlich noch. Leider war nichts drin. Ein leerer, schmutziger Schrank mit ein paar Scherben, die sicher von den letzten Bewohnern stammen. Aber oben, auf dem obersten Brett, lag ein kleiner Stapel mit auf Porzellan gemalten viktorianischen Menükarten, die es bei Gesellschaften gab. Fabelhaft, was die gegessen haben – geradezu prachtvolle Mahlzeiten. Ich lese es dir vor, aber erst nach dem Essen. Es war wirklich faszinierend. Weißt du, erst zwei Suppen, eine klar, eine gebunden, dann zwei Sorten Fisch, zwei Vorspeisen, dann kam Salat oder so etwas Ähnliches. Danach erst der Braten. Hinterher… ach, das weiß ich nicht mehr genau. Sorbet, glaube ich. Das ist Eis, nicht wahr? Und darauf – Hummersalat! Kannst du dir das vorstellen?«
»Sei still, Tuppence!«, rief Tommy. »Ich glaube, mir wird schon ganz schlecht.«
»Na, das fand ich denn doch interessant. Übrigens sind sie sehr alt. Sie könnten aus der für uns wichtigen Zeit stammen.«
»Und was versprichst du dir von deinen Entdeckungen?«
»Das Einzige, woraus sich was ergeben könnte, ist das Geburtstagsbuch. In ihm steht der Name Winifred Morrison.«
»Und?«
»Soviel ich weiß, ist es der Mädchenname der alten Mrs Griffin, bei der ich neulich zum Tee war, erinnerst du dich? Sie ist eine der ältesten Einwohnerinnen und erinnert sich an vieles, was sogar noch vor ihrer Zeit geschehen ist. Ich denke mir, dass sie Namen aus dem Geburtstagsbuch kennt. Vielleicht bringt uns das weiter.«
»Ja, vielleicht.« Tommy klang immer noch zweifelnd. »Trotzdem…«
»Trotzdem?«
»Ach, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Meinst du nicht, wir sollten die ganze Geschichte aufgeben? Warum müssen wir
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