Altern verboten
eine Verbindung zum Primgeneral«, sagte der kleine rothaarige Kommandeur irgendwann. Der Kommunikator von Ebene II sorgte dafür, daß erst die Kommunikatorin der BRÜSSEL, danach der Kommandant der GOLF und schließlich Niebuhr van Rhein im Sichtfeld auftauchten. Nach van Rhein sprach Bergen noch mit drei anderen Mitgliedern des Generalstabs. Jedem sagte er das gleiche: »Ich muß den Primgeneral sprechen.«
Endlich, zwei Stunden später, erschien das kantige Gesicht des Oberbefehlshabers im Visuquantenfeld. Alle Besatzungsmitglieder in der Kommandozentrale hielten den Atem an. »Ist die Republik in akuter Gefahr, oder warum wollen Sie mich sprechen, Subgeneral?« Eurobal Vetian machte kein Geheimnis aus seinem Zorn.
»Verzeihen Sie, mein verehrter Primgeneral – möglicherweise ist genau das der Fall.« Merican Bergen sprach mit fester Stimme. »Oder wie würden Sie einen Befehl interpretieren, dessen Umsetzung zwei Millionen Menschenleben auslöscht?«
»Wie reden Sie mit mir, Bergen?« Zornesfalten türmten sich auf Vetians Stirn.
»Man befahl mir, die Bergwerksschächte auf Genna unter Feuer zu nehmen. Sollte jemand tatsächlich einen solchen Befehl ausführen, würden die Sträflingskolonien unter dem Eis zwangsläufig im Schmelzwasser ersaufen oder unter dem wieder gefrorenen Schmelzwasser ersticken. Man behauptete, Sie selbst würden diesen Befehl gutheißen, mein verehrter Primgeneral. Ist das so?«
»Sind Sie noch bei Sinnen, Bergen?« Der Primgeneral wurde laut, seine Gesichtshaut färbte sich rot. »Ich gehe davon aus, daß man im Generalstab fähig ist, verständliche Befehle zu formulieren! Tun Sie also, was man Ihnen aufgetragen hat, und tun Sie es gründlich! Haben wir uns verstanden?«
»Sehr gut, mein Primgeneral. Sie und der Generalstab wünschen, daß ich mit zwei Millionen Menschen wie mit Ungeziefer verfahre. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich mich außerstande fühle, derart barbarische Pläne in die Tat umzusetzen.«
Sekunden des Schweigens verstrichen. Der Oberbefehlshaber musterte seinen Subgeneral aus schmalen Augen. »Ist das Ihr letztes Wort, Bergen?«
»Mein allerletztes Wort, Primgeneral Vetian.«
Der Primgeneral runzelte die Stirn. »Schade, Bergen.« Für einen Augenblick zog etwas wie Bedauern durch seine Miene. »Wirklich schade um Sie.« Das VQ-Feld verblaßte.
Etwa drei Minuten später erschien das Konterfei General Josefina Bukowas im Sichtfeld. Sie entband Merican Bergen seines Kommandos über den Zwölften Pionierkampfverband. Den Kommandanten der BRÜSSEL, Ralbur Robinson, ernannte sie zum Kommandeur über den kleinen Verband der Omegaraumer im Maligniz-System. Robinson erhielt den Befehl, die Schächte auf Genna zu beschießen und danach ins Robson-System zurückzukehren und sich dem Hauptverband unter Cahn anzuschließen.
Daraufhin wandte sich Bergen zum letzten Mal an die Besatzungen aller sechzehn Omegaraumer im Maligniz-System. Er gab seine Befehlsverweigerung bekannt und legte die Gründe dafür dar. Weiter nichts. »Ich werde die JOHANN SEBASTIAN BACH keineswegs aufgeben«, schloß er. »In spätestens drei Stunden wird ein Verband hier eintreffen, dessen Kommandeur den Auftrag hat, mich festzunehmen. Sie wissen alle, wie das so geht, meine Damen und Herren, und Sie wissen alle, welches Verhalten in einem solchen Fall opportun ist. Ich aber denke nicht daran, den Rest meines Lebens unter Eis und Tag im Bergwerk zu schuften. Mehr noch: Ich fordere Sie auf, meinem Beispiel zu folgen und den befohlenen Massenmord nicht auszuführen. Was mich persönlich betrifft, so werde ich dieses Sonnensystem in einer halben Stunde mit meinem Flaggschiff verlassen. Solange haben Sie also Zeit, sich mir anzuschließen, falls Sie mögen. Ansonsten leben Sie wohl.«
Nach dieser Durchsage verließ er die Zentrale. Veron vermutete, daß er sich in seiner Kabine einschließen und seinen Gefühlen am Piano freien Lauf lassen würde. Das tat er hin und wieder, wenn der Streß besonders hoch war. Sein blauer Roboter blieb neben dem Kommandostand stehen, als wollte er ihn bewachen.
In der Zentrale entbrannte eine heftige Diskussion. Die einen verlangten, Robinson und Cahn eine Loyalitätserklärung zu übermitteln, die anderen, die Mehrheit, stellte sich bedingungslos auf Bergens Seite. Zehn Minuten später verließ Oberst Ruud Zähring die JOHANN SEBASTIAN BACH in einem Beiboot.
Acht Offiziere und etwa doppelt so viele einfache Soldaten schlossen sich ihm an.
Dreißig
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