Altern Wie Ein Gentleman
Entwicklung einer Gesprächskultur für die neue Nähe, Krankheiten, Melancholie und die unentrinnbaren Folgen eines alternden Körpers.
Jeder einzelne Punkt stellt für sich genommen bereits eine anspruchsvolle Herausforderung dar, nun wollen sie alle gleichzeitig bewältigt werden, häufig von Paaren, die den Alltag bislang routiniert, in eingefahrenen Bahnen gemeistert hatten. Jetzt erst schließen die beiden den wirklichen »Bund fürs Leben«, als Verteidigungspakt gegen die Zumutungen des Alterns und als Gemeinschaft, um unter schwierigen Umständen das Dasein zu bewältigen.
Zu meinen bewegendsten Erfahrungen im »Rosenpark« gehörten die Verbundenheit, mit der alte Paare gemeinsam durch die Jahre gehen, und das unbeirrbare Vertrauen, das sie zueinander haben.
»Kannten Sie den Witz schon?«, fragte ich eher beiläufig eine Bewohnerin, deren Mann gerade im Badezimmer verschwunden war.
»Den erzählt er nicht zum ersten Mal.«
»Dafür haben Sie aber laut gelacht!«
»Das gehört zu einer Ehe. Du musst über die Witze des anderen lachen, selbst wenn er sie zum hundertsten Mal erzählt.«
»Klingt erst mal wenig komisch.«
»Ist aber eine eiserne Regel.«
»Ist das anstrengend?«
»Ja! Dafür hört er sich aber auch meine Geschichten aus der Verwandtschaft an. Die wiederholen sich genauso.«
»Liebe im Alter ist Liebe in Reinkultur«, sagen Psychologen. Frei von flüchtigen Leidenschaften und gereinigt von den Konflikten der Vergangenheit, aber gesättigt mit gemeinsamen Erfahrungen und gegenseitigem Vertrauen, ist sie die beste und verlässlichste Wegzehrung für den letzten Lebensabschnitt. Was nicht bedeutet, dass stets alles nach Plan verläuft. Distanz und sparsame Kontakte können eine Ehe, deren Brüchigkeit vorläufig keiner bemerkt hatte, lange Zeit zusammenhalten. Wenn einer von beiden dann eines Tages für immer von der Arbeit heimkehrt, lernen sich die beiden Partner plötzlich neu kennen. Aus der sorgfältig gepflegten Unverbindlichkeit wird plötzlich bedrohliche Nähe. Schrullen und Wunderlichkeiten, die bislang unentdeckt geblieben waren, beginnen, ein tückisches Eigenleben zu entwickeln.
Neben dem Ehe- oder Beziehungspartner sind die eigenen Kinder und deren Nachwuchs ein wichtiger Teil im Beziehungsgeflecht. Wobei in der Vergangenheit auf ein Großelternpaar in der Regel sechs Enkel oder mehr entfielen. Die Großeltern halfen ihren Kindern aus, indem sie sich, wenn nötig, um deren Nachwuchs kümmerten. Damit blieben sie nicht nur aus Sitte und Gewohnheit Teil des Familienverbands, sondern wichtiger Aufgaben wegen. Für die Enkel wiederum boten Oma und Opa Zuflucht vor elterlichem Unverständnis. Befreit von den täglichen Zumutungen des Berufslebens entwickelten manche Großeltern, zum Erstaunen ihrer Kinder, eine späte Liberalität, die ganz im Gegensatz zu den Grundsätzen stand, die sie einst selbst vertreten hatten.
Drei Viertel meiner Generation erreichen heute das Rentenalter in einer verbindlichen Zweierbeziehung. An Großelternpaaren ist also auch vorläufig kein Mangel, aber es fehlt an Kindern und Enkeln. Knapp sechzig Prozent meiner Generation werden keine Enkel mehr haben und auf die Großelternrolle mit ihren Pflichten, aber auch Rechten verzichten müssen. Die Familie, einst die zuverlässigste Quelle für soziale Kontakte im Alter, wird für viele »Vierziger« diese Aufgabe nicht mehr oder nur noch ungenügend erfüllen können.
Das zweite Standbein, das im Alter unseren kommunikativen und sozialen Haushalt zu stabilisieren vermag, ist deshalb die Freundschaft.
Von ihr sagt Michel de Montaigne im schwärmerischen Tonfall seiner Zeit, sie sei »kein schwankendes Fieber wie die Liebe, sondern eine allgemeine und umfassende Wärme – milde und gleichmäßig, beständig und ruhig, ganz Innerlichkeit und Anmut«. Ohne sie bleiben selbst glanzvolle und regelmäßige gesellschaftliche Kontakte ohne Auswirkungen auf die Befindlichkeit. Freundschaft ist im Gegensatz zur Ehe eine zweckfreie Gemeinschaft – wobei mit »zweckfrei« ihre Befreiung von Rollenvorschriften gemeint ist, die gewöhnlich soziale Beziehungen definieren. Die Ehe, kollegialer Umgang oder Vereinsmitgliedschaften bestimmen sich durch mannigfaltige Mengen oft einklagbarer Rechte und Pflichten. Der Freundschaft indes ist keine Pflicht eigen, sondern gegenseitige Verpflichtung, die jeden Augenblick gekündigt werden kann. Sie ist die menschlichste aller Beziehungen, denn sie ist frei vom
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