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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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unbefangen mit dem Thema um. Sichtlich stolz berichtete ein schwuler Freund vor nicht allzu langer Zeit in einem Kreis, der sich nach einer Theaterpremiere um einen Stehtisch versammelt hatte, dass er kürzlich einen jüngeren Liebhaber gefunden habe, »und das bei meiner Figur!«. Im Folgenden erzählte er uns Einzelheiten aus seiner neuen Beziehung. Peinliches Schweigen bei den männlichen Zuhörern und deren Frauen und schneller Themenwechsel.
    Unser Schweigen verheißt nichts Gutes, denn wenn die Sache auf dem rechten Weg wäre, würde unsere Beredsamkeit weiterhin keine Grenzen kennen. Silvia Bovenschen, die ihre Wurzeln tief in der antiautoritären Bewegung hat, gesteht in ihren Notizen zum Alter inmitten genauer und melancholischer Betrachtungen unvermittelt ein, sie sei unbedingt für eine rege Alterssexualität, fügt jedoch erbarmungslos hinzu: »Ich möchte nur nicht dabei sein.«
    Was für ein erschreckend schicker Satz aus der Feder einer Autorin meiner Generation, die vermutlich für sich in Anspruch nimmt, ihre Gedanken im Dienst der Aufklärung zu entwickeln. Wer hat sie je gebeten, bei nächtlichen Ausschweifungen anderer dabei zu sein? Mit ihrer Äußerung ist ja nicht nur der Ekelvor körperlicher Nähe, sondern auch das Reden, Austauschen und Nachdenken über die Libido gemeint. Aufgewachsen unter dem Diktat des schönen Körpers, unterwirft man sich dessen Ästhetik und wird zum Opfer einer Entwicklung, die man einst als Warenfetischismus bekämpft hatte. Aus der befreiten Libido der Jüngeren wird die verdächtige Wollust des Alters.
    Wir sind umzingelt von widerstreitenden Kräften, die drohend, schmeichelnd und fordernd an uns zerren. Zeitgemäßem Ratschlag zufolge sind späte Ausschweifungen die Voraussetzung für ein gelungenes Altern. Die Libido selbst, der Motor der Begierde, verliert jedoch an Kraft und zieht sich allmählich zurück. Die Gesellschaft ihrerseits wird zwar ständig älter, ihre libidinöse Ästhetik jedoch täglich jünger. Deren reale Verkörperung steht uns freilich nicht mehr zur Verfügung. Niemals zuvor in der Geschichte haben so viele Menschen die Bilder so vieler schöner Menschen gesehen. Der junge Leib bleibt jedoch außer Reichweite, denn der alte Leib verliert in einer Kultur gnadenloser Makellosigkeit jegliche Anziehungskraft.
    Heillos verstrickt zwischen dem Gebot regelmäßiger Sexualität als bekömmlichem Genussmittel und einer Warenästhetik, die unaufhörlich die Libido mit dem unzugänglichen, jugendlichen Leib als visuellem Auslöser von Begierde verknüpft, haben sich viele von uns ins Schweigen zurückgezogen und betrachten aus sicherer Distanz, was sich vor den Toren ihrer Fluchtburgen abspielt.
    Aus diesem ungenießbaren Gebräu führt nur ein Weg ins Freie: gelassen und ruhig die Vergänglichkeit der Libido zu akzeptieren. Dieser Weg aber scheint im Augenblick blockiert zu sein durch die Hoffnung auf die unerhörten Freuden, zu denen die alten Leiber untereinander angeblich fähig sein sollen. Zudem sind wir noch nicht bereit, das Unabänderliche als eine unüberhörbare Begleitmusik unseres Lebens zu akzeptieren. Noch sind wir die Herren über unser Schicksal, ein Anspruch freilich, der ein absehbares Verfallsdatum hat.
    Ab siebzehn Uhr trafen sich die Bewohner der Seniorenresidenz südlich von Orlando wie jeden Tag an der kleinen Bar in der großen Eingangshalle. Im Hintergrund spielte die hauseigeneCountryband O lonesome me von Don Gibson. Am Schlagzeug trommelte der vierundneunzigjährige Jack aus Park Falls, Wisconsin, unbeirrbar einen soliden Viervierteltakt. Bei El Paso von Marty Robbins ging er geschmeidig in einen Dreivierteltakt über, der so leicht und unbeschwert daherkam wie die kleinen weißen Wolken am ständig blauen Himmel. Ich habe nie wieder einen derart seligen Ausdruck im Gesicht eines Menschen gesehen. So müssen im Jenseits die Wonnen angesichts des Schöpfers erlebt werden.
    An der Bar wurde derweil über das Ergebnis der Heimversammlung, die gerade zu Ende gegangen war, diskutiert und gestritten.
    »Wir mussten über die gelblichen Schlieren im Schwimmbecken reden«, klärte mein Nachbar mich über den Grund der heftigen Auseinandersetzungen auf. »Alt werden heißt leider auch verzichten. Wer seine Pisse nicht mehr halten kann, der hat im gemeinsamen Pool nichts verloren. Keine Gummiwindel hält zu hundert Prozent. Er kann ins Meer gehen mit und ohne Windeln, aber nicht in unser Wasser. Bei den Temperaturen hier riecht

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