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Altern Wie Ein Gentleman

Titel: Altern Wie Ein Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Kuntze
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nachts unruhig, heißt es dann, will sagen, man erträgt den Körper des anderen nicht mehr. Er ist fremd und anstößig geworden und erinnert an die eigene Vergänglichkeit. Die erloschene Begierde ihm gegenüber verursacht Unbehagen. Was einst Sehnsuchtsort gewesen war, ist trostlose Wüste geworden, die man unter allen Umständen meiden möchte.
    Es ist der Beginn einer »erbarmungslosen Entsolidarisierung« der Männer von ihren gleichaltrigen Frauen, die freilich in alter Ehe ihre betagten Partner häufig auch nicht mehr begehrenswert finden.
    »Es ist der Blick«, versuchte eine alte Freundin, die in langer, oft ruppiger Ehe lebt, mir die Veränderung zu erklären. »Mein Mann nimmt mich zwar als Gegenstand wahr, damit er nicht über mich stolpert wie über einen Putzeimer, aber sein Blick ist erloschen. Er ist nicht ohne Wärme, aber er gleitet an mir ab wie Tropfen an der Fensterscheibe. Das war mal anders. Damals hat er mich angeschaut, und in seinem Kopf übernahm die Fantasie mit allerKonsequenz die Macht. Jetzt bewirke ich nichts mehr in ihm. Ich bin ihm in dieser Hinsicht abhanden gekommen. Wir wissen allerdings, dass wir uns in schweren Zeiten aufeinander verlassen können. Das ist zwar nicht aufregend, aber nützlich und beruhigend. Über die Gründe seiner körperlosen Anhänglichkeit«, fügte sie hinzu, »will ich mir besser keine Gedanken machen.«
    Ob ihm jener Blick aus grauen Vorzeiten denn gänzlich abhanden gekommen sei?
    »Nein, er hat ihn noch, und zwar bei jüngeren Frauen. Eigentlich tut er mir in diesen Momenten leid, denn die schenken ihm den gleichen Blick wie er mir. Aber das bemerkt er nicht. Männer eben!«
    »Es gibt noch einen zweiten«, ergänzte eine Freundin, die schweigend und kopfnickend dabeisaß. »Ich nenne das den Haifischblick, wenn mein Mann plötzlich und ohne Anlass, seelenlos wie ein Hai und unbarmherzig wie ein Krokodil, mein Gesicht oder meinen Hals mustert und dabei neue Falten, geplatzte Äderchen oder die weiten Poren des Alterns entdeckt. Vieles kennt er ja schon, aber es kommt ständig Neues hinzu. Er kommt mit meinen Altersmarkierungen nicht zurecht, sie schrecken ihn spürbar ab. Du siehst ihm an, was in seinem Gehirn vor sich geht. Verschont mich aber mit Einzelheiten.«
    Es ist dies vermutlich jener Blick, von dem es bei Theodor Fontane heißt: »O Gott, was doch drei Jahre aus einem Menschen machen können!«, während Jeanne Moreau ein Jahrhundert später und in der unverblümten Sprache ihrer Zeit schonungslos feststellte: »Das Fleisch des anderen beginnt zu stinken.«
    Vor Kurzem habe ich ohne Anlass und Absichten nebenbei eine jüngere Frau in der Straßenbahn angelächelt. Sie war zwar nicht zu Tode erschrocken, aber dachte sichtlich erschüttert darüber nach, warum ein Mann in meinem Alter so etwas Ungeheuerliches tun würde. Als sie die Bahn verließ und ihre Fassung zurückgewonnen hatte, streifte sie mich kurz mit einem entgeisterten Blick.
    Zwei Wochen später rief mich eine ferne Bekannte an und erbat Rat für ihre heranwachsende Tochter, die sich beim Fernsehen umschauen wollte. Wir verabredeten uns in einem Café, wo sie mir Lisa, so hieß die junge Dame, vorstellen wollte. Die war groß, schmal, bewegte sich mit träger Gelassenheit und – war jenes Opfer meines ungebundenen Lächelns in der Straßenbahn gewesen. Sie konnte sich zwar nicht an mich erinnern, wohl aber an den unerhörten Vorfall, von dem sie sogleich ihren Freundinnen berichtet hatte. Sie wusste noch genau, was ihr damals durch den Kopf gegangen war: »Spinnt der? Was ist in den Alten gefahren? Sehe ich so fertig aus, dass mich Greise für die ihren halten? Will der was von mir? Gott sei Dank ist die Straßenbahn überfüllt! Für was hält der sich? Abgefahren, Chucks trägt er auch noch!«
    Wir haben uns dann über die Wahrnehmungskultur zwischen jungen Frauen und alten Männern unterhalten. In ihren Augen war ich ohne jede Einschränkung alt. Jene Jugendlichkeit, die meiner Generation angeblich eigen ist, konnte sie nicht entdecken.
    »Stellen Sie sich vor, meine Clique wollte neulich auf eine Ü-30-Party gehen! Krass, oder?«
    »Sehr krass!«
    Sie war grenzenlos liberal und hatte wirklich nichts gegen alte Leute, was vor allem daran lag, dass sie uns gar nicht wahrnahm. Wir waren ihr wie Laternen, Litfaßsäulen oder Hydranten, Gegenstände, die man bemerkte, um ihnen auszuweichen. Die Stadt mit all ihren Accessoires gehört der Jugend. Wir Alten stehen am Rand und in

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