Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
feiern.
Am nächsten Morgen versammelten sich die Gläubigen zu einer Gedenkmesse für Amy, CPO, Bastien, Walton und alle Pans, die in Fort Strafe umgekommen waren. Bei der Gelegenheit verbreiteten sie auch die Nachricht, dass Matt und seine Freunde beschlossen hatten, eine Brücke im Norden nach Walton zu benennen. Die anderen, die an keinen Gott glaubten, warfen Blumen in den Fluss und erzählten, welche Erinnerungen sie an die Opfer hatten.
In der Nacht führten Zelie und Maylis Tim in eine abgelegene Scheune. Der Junge folgte ihnen lammfromm.
Sie hatten lange hin und her überlegt, ob sie ihm den Nabelring entfernen sollten. Die Operation konnte seinen Tod bedeuten. Letztlich hatten sie beschlossen, das Risiko einzugehen. In seinem Zustand war das Leben ohnehin nicht lebenswert.
Mit einer Zange zogen sie den Ring aus dem Fleisch, und Tim erwachte schreiend.
Eine Stunde lang krümmte er sich vor Schmerzen, und erst dann konnten sie ihn zu Bett bringen.
Tim hatte zwar überlebt, aber er ähnelte eher einem Gespenst als dem aufgeweckten Jungen, den sie gekannt hatten.
Am nächsten Morgen entfernten sie allen Pans, die sie aus der Kloake befreit hatten, die Ringe. Fünf von neun starben noch vor dem Mittag. Anschließend wuschen sich die Schwestern die Hände im Flusswasser. Für den Rest des Tages sprach keine von beiden ein Wort. Aber sie verstanden sich auch schweigend: Sie wollten Rache. Der Unschuldstrinker musste für seine Greueltaten bezahlen.
Am Ende der Woche kehrte Ambre in Begleitung von Orlandia, der Chloropanphyllikerin, nach Eden zurück.
Alle Pans liefen herbei, um sich das Mädchen mit dem strubbeligen grünen Haar anzusehen. Ihre Augen schimmerten smaragdgrün, und um die Iris zog sich ein heller Rand. Selbst ihre Lippen waren blassgrün, und ihre Fingernägel oliv.
»Die Chloropanphylliker werden uns ein Schiff bauen«, verkündete Ambre am Abend den Mitgliedern des Rats. »Vielmehr ist es schon fast fertig. Sie schenken uns ihr neues Schiff, der Ersatz für ihr Mutterschiff, das während der Großen Schlacht zerstört wurde.«
Orlandia stand auf und ergriff das Wort:
»In zwei Wochen ist das Schiff fertig, aber es wird noch einmal so lange dauern, es vom Trockenen Meer zum Ozean zu transportieren.«
Alle starrten sie an. Die meisten sahen zum ersten Mal einen Chloropanphylliker, vor allem aus so großer Nähe. Nach dem Krieg gegen die Zyniks waren die Bewohner des Blinden Waldes rasch wieder auf ihre Bäume geklettert. Das Leben am Boden war für ihren Geschmack viel zu blutig.
»Und wie halten wir auf dem Atlantik den Kurs?«, fragte Melchiot.
»Mit Hilfe der Sterne«, erklärte Orlandia.
»Aber wir haben keine Ahnung von der Navigation!«
»Ich schon. Ich begleite euch. Zusammen mit ein paar Freiwilligen aus meinem Volk. Der Baum des Lebens hat Ambre auserwählt, und wir folgen ihr. Unser Volk wird euch helfen.«
Ambre wusste, dass die Chloropanphylliker sie fast wie eine Göttin verehrten, seit sie mit dem Herz der Erde verschmolzen war. Damit umzugehen war zwar nicht immer leicht, aber – wie in diesem Fall – zuweilen auch sehr praktisch.
Als Sprecher des Rats von Eden wandte sich Melchiot an Ambre:
»Und was macht ihr, wenn ihr in Europa ankommt und seht, dass die Lage katastrophal ist? Was, wenn ihr Hilfe braucht? Wie lange gedenkt ihr fortzubleiben? Sollen wir ein zweites Schiff bauen und euch zu Hilfe kommen, wenn ihr in einem Jahr nicht zurück seid?«
Ambre hob die Hände, um die Flut an Fragen zu stoppen:
»Wir werden miteinander kommunizieren«, sagte sie gelassen.
Melchiot und alle anderen Pans im Raum sperrten die Augen auf.
»Und wie sollen wir das bitte anstellen?«
»Wir haben euch doch von dem Vorfall in der Kirche erzählt. Während unserer Überfahrt werdet ihr Gotteshäuser in der näheren Umgebung von Eden ausfindig machen. Und sobald wir in Europa angekommen sind, suchen wir die erstbeste Kirche auf. Über die in den Bibeln gefangenen Seelen können wir Nachrichten austauschen und miteinander reden.«
»Bist du sicher, dass das klappt?«
»Sobald wir abgelegt haben, gibt es keine Sicherheit mehr«, erwiderte Ambre. Sie hatte offenbar so viel über die Reise nachgedacht, dass sie auf alles eine Antwort hatte.
Nach der Versammlung scharten sich alle um Melchiot und Orlandia.
Matt ging zu Ambre, die etwas abseits der Menge in einer Ecke des Saales stand.
»Dann hast du dich also entschieden. Du fährst nach Europa«, sagte er.
»Du weißt
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