Alterra. Im Reich der Königin
»Bringen Sie ihn auf mein Schiff. Mein Junge, ich werde dir deinen Wunsch erfüllen. Du wirst Malronce gegenübertreten.« In sein Gesicht trat eine Mischung aus Abscheu und kalter Grausamkeit. »Aber ich glaube nicht, dass es dir gefallen wird.«
26. Einbrecher
Ü ber der Stadt flatterten Fledermäuse; in schwindelerregenden Sturzflügen tauchten sie zwischen den Dächern ab und verschwanden in dunklen Winkeln und Löchern, um die erbeuteten Insekten zu verspeisen.
Beim Anblick dieses Balletts in den Lüften dachte Tobias unwillkürlich an Colin. Er hätte mit den Fledermäusen kommunizieren können. Die Angst, die er am Vormittag bei der Rückkehr seines angeblichen Beschützers gezeigt hatte, stand Tobias noch lebhaft vor Augen. Die Bezeichnung erschien ihm jedenfalls fragwürdig: Der Mann quälte Colin offenbar mehr, als dass er ihn beschützte.
Tobias blickte zu dem Haus hinüber, in dem Matt gefangen war. Nur wenige Sekunden, nachdem sie beschlossen hatten, ihn dort herauszuholen, war ein ganzes Regiment von Soldaten über die Brücke und geradewegs in das Gebäude marschiert, angeführt von einem Mann in einem dunkelroten Kapuzenumhang.
Daraufhin hatte Ambre die Befreiungsaktion verschoben.
»Die werden schon nicht alle extra wegen Matt hier sein«, protestierte Tobias. »Ich bin dafür, dass wir uns jetzt reinschleichen, und wenn wir nicht an ihn rankommen, dann legen wir uns irgendwo auf die Lauer und warten, bis alle schlafen.«
Ambre schüttelte nur den Kopf.
Tobias seufzte und verschränkte die Arme.
Er hatte seinen Bogen aus dem Versteck geholt und fand es schrecklich, untätig bleiben zu müssen.
Fünf Betrunkene torkelten singend über den Platz und stützten sich gegenseitig, um nicht hinzufallen.
Auf einmal traten die Soldaten wieder ins Freie und überquerten die Brücke in Richtung des königlichen Ministeriums auf der anderen Seite des Flusses.
»Der Typ mit der Kapuze ist nicht mehr dabei«, stellte Ambre fest.
»Der macht mir weniger Angst als diese Kerle mit ihren Waffen und Rüstungen! Los, die Luft ist rein!«
Doch Ambre hielt ihn am Arm zurück.
An der Schmalseite des Gebäudes öffnete sich ein großes Tor. Eine von zwei Pferden gezogene Kutsche ratterte über das Pflaster auf die Brücke zu und kam dabei so dicht an Ambre und Tobias vorbei, dass Ambre einen Blick ins Innere werfen konnte.
Der Mann mit dem roten Umhang und neben ihm ein bewusstloser Matt.
»Schnell!«, rief sie Tobias durch das Geklapper der Hufe hindurch zu. »Wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren!«
Sie rannten auf die Brücke zu, ohne an die Wachen zu denken, die davor postiert waren. Ambre schubste Tobias gerade noch rechtzeitig zur Seite, bevor die Männer sie entdeckten. Tobias war so in Schwung gewesen, dass er nicht mehr abbremsen konnte und in einen Stapel von Kisten voller Kohlköpfe krachte.
Zum Glück hörten die Wachen nichts, da in diesem Moment die Pferde an ihnen vorbeigaloppierten.
»Verdammt!«, fluchte Ambre. »Wenn sie uns entwischen, ist alles verloren!«
Fieberhaft spähte sie ans andere Ufer hinüber und musterte die Fassaden der Häuser, um eine Lösung zu finden.
Die Kutsche folgte der Uferstraße und hielt auf Höhe eines großen Dreimasters, der unter königlicher Flagge fuhr.
Ambre kniff die Augen zusammen und konnte schemenhaft sehen, dass Matt von zwei Männern an Bord getragen wurde.
»Sie haben ihn erkannt«, flüsterte sie. »Sie bringen ihn nach Süden, um ihn der Königin auszuliefern!«
»Oh nein«, sagte Tobias und setzte eine entschlossene Miene auf. »Das werden wir nicht zulassen.«
»Wir müssen irgendwie ans andere Ufer.«
Tobias wies auf die Soldaten an Deck des Dreimasters.
»Das Schiff wird scharf bewacht. Denen entgeht niemand, der am Ufer entlang auf die Landungsbrücke zugeht, auf den letzten fünfzig Metern gibt es keine Möglichkeit, sich zu verstecken! Und vom Fluss aus kann man es auch vergessen, auf der Seite stehen sogar noch mehr Wachen an der Reling.«
»Lass uns erst mal überlegen, wie wir über den Fluss kommen«, sagte Ambre und stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Mir fällt nur ein einziger Ort ein, an dem wir uns Material beschaffen können.«
Tobias folgte ihr hastig.
»Sag bloß, du willst … in Balthazars Bazar einbrechen?«
»Richtig geraten.«
»Nein, nein, nein!«, ereiferte sich Tobias. »Du ahnst ja nicht, wozu dieser Typ fähig ist! Das ist eine ganz schlechte Idee! Die schlechteste, die du je hattest! Und
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