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Alterra. Im Reich der Königin

Alterra. Im Reich der Königin

Titel: Alterra. Im Reich der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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erwartungsvoll an. Sein Gesicht hatte wieder menschliche Züge angenommen.
    »Also?«, sagte er, nachdem sie an der Milch genippt hatten.
    Ambre und Tobias wechselten einen verstohlenen Blick.
    »Ein Freund von uns ist in der Stadt«, begann Ambre zu Tobias’ Verblüffung zu erzählen. »Er wurde von den Soldaten der Königin gefangen genommen und soll zu ihr gebracht werden, weit weg von hier. Er ist unser Freund, und er hat nichts getan!«
    »Die Königin wird schon ihre Gründe haben«, entgegnete Balthazar.
    »Sie werden uns ausliefern«, klagte Tobias.
    »Warum sollte ich?«
    Das war nicht die Antwort, mit der Tobias gerechnet hatte. Mit einem Ruck setzte er sich aufrecht hin.
    »Weil Sie … ein Zynik sind?«
    »Ein Zynik? So nennt ihr uns also im Norden? Zyniks! Ha!«
    Balthazar lachte dröhnend. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte.
    Ambre und Tobias sahen sich verwirrt an. Sie begriffen nicht mehr, wen sie da eigentlich vor sich hatten.
    Seine Augen blitzten so schelmisch, wie sie es bei einem Zynik noch nie erlebt hatten. Als habe er erraten, was sie dachten, fuhr er fort:
    »Haben eure Eltern euch so vernachlässigt, dass ihr eine derart schlechte Meinung von den Erwachsenen habt? Aber zugegeben, ihr habt nicht unrecht. Die geistige Neugier scheint ihnen jedenfalls gründlich abhandengekommen zu sein. Sie lesen nicht mehr! Bis auf die spirituellen Berater, die ständig die Nase in ihre Bibeln stecken … In den Büchern, die wir zur Verfügung haben, verbirgt sich ein unermesslicher Wissensschatz, doch niemand kommt auf die Idee, sie aufzuschlagen! Sie sind viel zu versessen auf ihre Erlösung und die Versprechungen, mit denen Malronce sie lockt.«
    »Wenn sie ihr Gedächtnis verloren haben und nicht lesen, wie können sie dann Städte bauen und Waffen schmieden?«, wunderte sich Ambre.
    »Oh, in solchen Dingen kann uns so schnell keiner das Wasser reichen. Die Erinnerungen sind zwar verschwunden, aber ihre praktischen Fähigkeiten haben die Menschen nicht vergessen. Wer vorher Maurer, Schlosser oder auch nur ein geschickter Bastler war, ist jetzt ein Star! Wer sie sind und wie ihr früheres Leben aussah, wissen sie nicht mehr; das hindert sie aber nicht daran, weiter Steine zu behauen. Was sich aufgelöst hat, ist lediglich ein Teilbereich des Gedächtnisses.«
    Auf einmal fiel es Ambre wie Schuppen von den Augen.
    »Aber nicht in Ihrem Fall, oder? Der Sturm, Verzeihung, die Katastrophe hat Ihr Gedächtnis verschont!«
    Balthazar lächelte anerkennend.
    »Hübsch und klug noch dazu«, sagte er.
    »Wie ist das möglich?«, fragte Tobias erstaunt. »Moment, ich weiß es: Sie können zaubern! Also stimmt es, was man sich in New York über Sie erzählt hat!«
    Balthazar lachte wieder. Allmählich wirkte er fast sympathisch.
    »War mein Ruf wirklich so schlecht?«, fragte er belustigt. »Kinder, was haltet ihr von folgender Abmachung: Ich erzähle euch meine Geschichte, wenn ihr mir dafür eure erzählt. Einverstanden?« Ambre und Tobias nickten, nachdem sie einen raschen Blick gewechselt hatten. »Sehr gut. Im Grunde genommen war ich schon immer fasziniert von dem, was uns verborgen ist. Lange bevor eure Eltern überhaupt auf der Welt waren, habe ich Neurologie studiert, weil ich mich für jenen großen Bereich des Gehirns interessierte, den wir nicht benutzen. Meine Forschungen führten mich rund um den Globus. Ich arbeitete eng mit Ethnologen zusammen, die bei Eingeborenenstämmen lebten, und reiste zu Schamanen in Amazonien, Asien, Indonesien und Australien. Stellt euch vor, bei manchen Völkern, die eine andere Kultur und eine andere Weltsicht haben, ist das Gehirn anders ausgeprägt, ihre Wahrnehmung unterscheidet sich von unserer! So bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es möglich ist, neue Zonen unseres Gehirns zu erschließen und es auf andere Weise zu nutzen.«
    »Das hat also nichts mit Zauberei zu tun?«, fragte Tobias enttäuscht.
    »Überhaupt nichts! Im Alltag greift der Mensch nur auf einen Bruchteil der Leistung seines Gehirns zurück. Ich habe eine Art Denktraining entwickelt, tägliche Übungen, mit denen sich dieser Prozentsatz erhöhen lässt. Es ist in etwa so, als würden wir in einem Schloss leben, in dem wir bislang nur einige Zimmer im Hauptgebäude bewohnen, und ich bemühe mich darum, hinter den Schränken und in vergessenen Winkeln jene versteckten Türen und Gänge zu finden, die in noch größere Räume führen.«
    »Heißt das, Sie können

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