Alterra. Im Reich der Königin
dabei hattest du schon jede Menge komischer Ideen!«
»Aber sie haben uns doch immer weitergebracht, oder nicht?«
»Diesmal ist das was anderes. Balthazar ist so eine Art … so eine Art böser Hexer! In New York hatten die Leute aus meiner Schule alle Angst vor ihm, sie wussten, dass er nicht normal ist. Der war schon vor dem Sturm irgendwie abartig!«
»Ein Grund mehr, sich mal bei ihm umzusehen.«
Tobias gingen die Argumente aus.
»Du bist schon wie Matt«, jammerte er. »Der trifft auch immer solche lebensmüden Entscheidungen!«
»Anscheinend fehlt er mir so sehr, dass ich seinen Platz einnehme.«
Tobias folgte ihr stumm, während er darüber nachgrübelte, was Ambre mit dieser Bemerkung wohl genau gemeint hatte.
In Balthazars Bazar war alles dunkel, doch im ersten Stock brannte Licht hinter zwei Fenstern.
»Ich wette hundert zu eins, dass er das ist, der da über dem Laden wohnt!«, klagte Tobias.
»Ich werde versuchen, das Schloss aufzubrechen, hast du Leuchtmaterial dabei?«
»Nur das hier.«
Tobias holte den Leuchtpilz aus der Tasche, den er überallhin mitnahm.
»Perfekt«, sagte Ambre und schlich zur Ladentür, nachdem sie sich noch einmal umgesehen hatte.
Tobias stellte sich an der Straßenecke auf, um sie rechtzeitig warnen zu können, falls jemand des Weges kam.
Ambre kniete sich mit dem Pilzstück vor das Schloss, das wie fast alles, was die Zyniks in aller Eile wieder instand gesetzt hatten, nicht besonders raffiniert konstruiert war. Nach gründlicher Analyse konzentrierte sie sich auf den Mechanismus und bewegte ihn so lange hin und her, bis ein vielversprechendes Klicken erklang. Behutsam drückte sie die Klinke herunter und trat ein.
Tobias flitzte zu ihr, und sie schlossen die Tür hinter sich.
In der Dunkelheit, nur beschienen von dem fahlen Licht des Pilzes, wirkte der Raum noch gruseliger.
»Was genau suchen wir denn?«, fragte Tobias.
»Alles, was uns irgendwie helfen kann, über den Fluss zu kommen: Schwimmwesten, ein aufblasbares Boot oder Bretter, aus denen sich ein Floß basteln lässt.«
Sie blieben dicht beieinander, während sie von Regal zu Regal gingen, Planen anhoben, Stapel von Klappstühlen beiseiteschoben oder Kunststoffkisten öffneten, um in dem Durcheinander nichts Nützliches zu übersehen.
»Nichts«, verkündete Tobias, nachdem er alles gründlich durchwühlt hatte. »Das war ein absoluter Reinfall.«
»Kopf hoch. Wir suchen draußen weiter, und wenn wir dafür in jeden Winkel dieser verdammten Stadt kriechen müssen.«
Als sie auf die Tür zugingen, tauchten am Rand des Lichtkreises, den der Pilz auf den Boden warf, ein Paar Pantoffeln und der Saum eines Morgenrocks auf.
Balthazar musterte sie mit funkelndem Blick. Plötzlich vertieften sich die Falten in seinem Gesicht, und die Augen verengten sich zu Schlitzen, während sich das Weiß rings um die länglichen Pupillen gelb färbte.
Eine vibrierende, dünne Schlangenzunge schoss zwischen seinen Zähnen hervor.
»Schnüffler habe ich noch nie leiden können«, sagte er.
27. Unerwartete Offenbarungen
B althazar hielt einen schweren Gehstock auf sie gerichtet.
Tobias stand zu dicht vor ihm, um seinen Bogen zu benutzen.
Ambre hob beschwichtigend die Hände.
»Es tut uns wirklich sehr leid, Herr Balthazar, wir hätten Ihnen einen Zettel hingelegt, um Ihnen alles zu erklären und uns zu entschuldigen, wenn wir etwas mitgenommen hätten …«
»Ihr habt euch nicht beim Ministerium gemeldet«, fauchte er, »ihr seid Verbrecher!«
Tobias legte eine Hand an den Griff seines Jagdmessers, das er unter dem Mantel trug.
»Das machen wir schon noch«, beteuerte Ambre. »Wir fürchten uns vor den Leuten dort, lassen Sie uns etwas Zeit!«
»Damit ihr in Ruhe in mein Geschäft einbrechen könnt?«, fragte der alte Mann wütend.
»Wir wollten hier nur übernachten, weil wir keinen trockenen Platz zum Schlafen gefunden haben.«
Balthazars Kiefermuskeln verkrampften sich. Seine unheimlichen, riesigen Schlangenaugen zuckten von Ambre zu Tobias.
»Du lügst, junge Frau«, sagte er leise. »Aber ich gebe euch noch eine Chance, mir die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit. Und dann werden wir sehen, was ich mit euch anstelle.«
Ambre und Tobias saßen im Hinterzimmer des Ladens an einem alten Tisch. Trotz seines Missmuts war Balthazar so freundlich gewesen, ihnen einen Becher mit warmer Milch hinzustellen. Dann hatte er sich ihnen gegenüber in einen Polstersessel gesetzt und sah sie nun
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