Altes Eisen - [Kriminalroman aus der Eifel]
schon so alt ist. Vielleicht ist es sogar eine Kriegsbeute von damals.«
»Hab ich euch doch schon mal gesagt«, meldete sich Gustav, der zu den beiden getreten war.
»Was meinst du?«, fragte Bärbel.
Gustav grinste. »Ich hab ja keine Ahnung von Geschichte, aber Lorenz erzählte vor ein paar Tagen, dass die Schlacht, bei der Konrad von Hochstaden in die Hände des Wilhelm von Nideggen geriet, im Jahre 1242 stattfand. Ich bemerkte dazu, dass im selben Jahr die Deutschritter bei Nowgorod von Alexander Newski vernichtend geschlagen wurden und sich nach Westen zurückziehen mussten.«
»Ich könnte dich küssen, alter Schwede«, freute sich Lorenz.
»Ach, lass mal stecken.«
»Das ist jetzt aber doch eine geile Spur, oder?«, kam es von Benny, der nun auch dazugestoßen war.
»Das kannst du wohl laut sagen.« Lorenz war sichtlich aufgeregt. Dann umarmte er Bärbel. »Mädchen, das war spitze!«
Benny begann zu lachen. »Sozusagen heilige Spitze.«
»Was will der alberne Knabe uns denn jetzt schon wieder sagen?«, brummte Lorenz und löste sich von Bärbel.
Benny grinste. »Na ja, es ist wohl tatsächlich ein bisschen albern, aber am Sonntagabend war ich mit Elena zusammen. Und sie sprach von einer heiligen Spitze, die ein Russe im Haus ihres Vaters erwähnt hatte. Und sie meinte damit meinen – äh – meinen ...«
Bärbel unterbrach ihn lachend. »Hör auf, wir wollen gar nicht wissen, welchen Teil von dir sie meinte!«
Lorenz packte den jungen Pfleger bei den Schultern. Sein Gehstock fiel klappernd zu Boden. »Mensch Benny, hat sie wirklich gesagt, dass ein Russe im Hause ihres Vaters etwas von einer heiligen Spitze erzählte?«
»Ja«, antwortete Benny verdutzt. »Was ist daran so besonders?«
Lorenz ließ den Jungen los und hüpfte mit einer Beweglichkeit, die niemand ihm zugetraut hätte, vor den anderen herum. »Ja, versteht ihr denn nicht?«, rief er aus. »Mein Gott, war ich dumm!«
Gustav griff nach Lorenz’ Hand und meinte: »Nun beruhige dich mal und erzähle uns armen Sündern, welche göttliche Eingebung dir gerade zuteil ward.«
»Die heilige Spitze! Das ist es! Wir haben eine wichtige Reliquie vergessen, die immer in Verbindung mit Jesus Christus gebracht wird. Die heilige Spitze ist natürlich die heilige Lanze. Jene Lanze nämlich, mit der ein römischer Offizier Jesus in die Seite stach, als dieser tot am Kreuz hing. Wie kann man nur so blind sein? Es lag alles längst vor uns! Lasst uns noch mal die Bemerkung des alten Konrad lesen, die ihr gestern so schön übersetzt habt.«
Er kramte die Kopien hervor, die er aus dem Kölner Dombauarchiv mitgenommen hatte, und blätterte in wilder Hast darin herum. »Hier!«, rief er aus und hielt Bärbel und Gustav das gesuchte Papier hin. »Wie habt ihr das übersetzt?«
Bärbel las vor: »
Sacrum corda dominus et ab meus cor perditus est
. Wir vermuteten so etwas wie: Das Heilige, was dem Herrn am Herzen lag, war auch an meinem Herzen, doch es ging verloren.«
Lorenz klatschte in die Hände. »Seht ihr! Ihr habt aus den verworrenen Brocken natürlich versucht, einen vernünftigen Satz zu bauen, und habt ein bisschen dazugeraten. Ich behaupte nun, es heißt: »Was im Herzen des Herrn war, trug ich an meinem Herzen, doch es ging verloren! Die heilige Lanze, die in Jesu Herz war!«
»Und was hat das mit Nowgorod zu tun?«, fragte Gustav, der die wilde Begeisterung seines Freundes nicht ganz teilen konnte.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Lorenz. »Aber das finden wir bestimmt auch noch heraus.«
Benny zeigte auf das Bild. »Schaut mal«, meinte er. »Der Engel, der von links angeflattert kommt, trägt eine Lanze in der Hand.«
Die Freunde schauten auf die Ikone.
»Tatsächlich«, bestätigte Gustav. »Ich fasse es nicht.«
Lorenz nickte anerkennend. »Gar nicht so dumm, unser Kleiner.«
Bärbel gab zu bedenken: »Das passt ja wirklich alles sehr schön zusammen, aber Lanzen findet man des Öfteren auf solchen Darstellungen. Vielleicht ist es ein Erzengel. Die kommen oft mit Schwert oder Lanze daher. Und außerdem – wurde Jesus nicht in die rechte Seite gestochen? Dann wäre die Lanze nicht in seinem Herzen gewesen.«
Benny warf ein: »Also, ich hab in Religion nicht immer aufgepasst, aber ich glaube, dieser Römer sollte prüfen, ob Jesus tot ist, oder, falls er noch leben sollte, hätte er die Sache abkürzen sollen. Ich hätte in der linken Seite zugestochen.« »Schnickschnack«, grummelte Lorenz. »Linke Seite, rechte Seite.
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