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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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nicht einfach sein, ihm das beizubringen. Ich kann sehen, daß ihm das Tanzen im Blut liegt, aber sag ihm, daß es eine spezielle Kinderschlange am letzten Tag gibt und daß er dann mitmachen kann, wenn er möchte. Sag ihm, ich werde sogar dafür sorgen, daß er eine Maske bekommt, irgend etwas Aufregendes wie ein weißschwänziger Adler oder eine gesprenkelte Grasschlange.«
    Marrah versprach, ihr Bestes zu tun, um Arang oben auf der Zuschauertribüne zu halten. Es würde ihm gar nicht gefallen, zwei weitere Tage zu warten, bis er tanzen durfte, aber Desta hatte wahrscheinlich recht – nach dem, was Marrah von dem Schlangentanz gesehen hatte, schien er wirklich nicht für Kinder geeignet. Sie bedankte sich bei der Königin und wandte sich zum Gehen, doch sie hatte noch keine zwei Schritte zur Tür hinausgemacht, als ihr einfiel, daß sie versprochen hatte, auch für Stavan um Erlaubnis zu bitten. Und so kehrte sie um und unterbrach Destas Frühstücksvorbereitungen zum zweiten Mal.
    »Natürlich«, erwiderte Desta gnädig, nicht im geringsten ärgerlich. »Laß den Fremden ruhig mitmachen. Alle hatten inzwischen Gelegenheit, deinen merkwürdigen gelbhaarigen Liebhaber ausführlich zu betrachten – entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen, aber du mußt zugeben, daß er ein seltsam aussehender Mann ist –, also nimm ihn mit zum Tanzen.« Sie zwinkerte Marrah zu. »Nur rechne nicht damit, daß du ihn im Auge behalten kannst, sobald die Schlange anfängt, sich zu winden.«
    Marrah bedankte sich überschwenglich und kehrte zum Tempel zurück, um Stavan die gute Nachricht zu verkünden und Arang die schlechte so behutsam wie möglich beizubringen.
    Schlag. Unbetonter Takt. Schlag. Unbetonter Takt. Dies war der Rhythmus ihres Herzens. Dies war das Rauschen und Pulsieren ihres eigenen Blutes. Dies war der Schlangentanz von Gira zum rhythmischen Dröhnen der Trommeln.
    Schlängle dich vorwärts. Schritt zur Seite. Und rückwärts. Mit dem linken Fuß aufstampfen. Mit dem rechten Fuß aufstampfen. Sei die Schlange. Werde zur Schlange. Fasse die Person vor dir um die Taille. Halte sie fest. Preß dich an ihren Rücken. Laß dich von deinem Hintermann halten. Laß dich an seinen Körper pressen. Geh einen Schritt zurück. Mach einen Schritt vor. Vergiß, wer du bist. Vergiß, was du bist. Vergiß Mann, vergiß Frau. Sei ein einziger Körper. Sei ein Strom von Energie. Sei das Leben. Die Göttliche Schlange bedeutet Leben. Sie ist alles, was zählt. Es gibt nichts außer ihr. Es gibt nichts außer ihren Trommeln. Schritt. Einen Schritt vor. Schritt. Einen Schritt zurück. Halte fest. Laß dich festhalten.
    An diesem Nachmittag tanzten Marrah und Stavan zusammen den Schlangentanz, oder eher: Sie begannen gemeinsam, aber bald war Marrah sich nicht mehr sicher, wessen Hände um ihre Taille lagen. Die Tanzfläche war derart überfüllt, daß sich die Menschen von allen Seiten gegen sie preßten, während sich alle im selben Rhythmus bewegten. Nackte Beine berührten ihre Beine, und nackte Arme streiften über ihre Arme, mit Schweiß bedeckt, bis sie ihre eigenen Arme und Beine und ihre Körperhitze nicht mehr von der Körperhitze und den Armen und Beinen um sich herum unterscheiden konnte. Die Schlangentänzer sangen ein paar einfache Worte, sangen sie wieder und wieder zum Dröhnen der Trommeln, und Marrah sang aus voller Kehle mit, obwohl sie kurz davor war zu vergessen, welche der unzähligen Stimmen ihre war.
    »Komm zu uns, Hessa. Komm zu uns, Hessa. Schenk uns eine neue Haut. Schenk uns ein neues Leben.«
    Das Gesicht eines Mannes schwebte auf sie zu, dunkeläugig und fremd. Im Vorbeitanzen streckte er eine Hand aus und küßte sie auf die Lippen, und sie erwiderte seinen Kuß. Eine Frau, die nur einen Leinenrock und einen Gürtel aus Muscheln um die Hüften trug, wurde in einer vorbeiziehenden Schlange gegen Marrah gedrückt. Beide streckten die Arme aus und umarmten einander und küßten sich. Der Kuß des Friedens, der Kuß des Lebens selbst.
    Marrah konnte das göttliche Überbewußtsein über sich schweben fühlen, das alles umfassende Über-Ich, das weder Mann noch Frau war. Bald würde auch Es sie küssen, so wie Es sie in Hoza geküßt hatte, als sie um den Baum des Lebens tanzte, und seine Botschaft der Liebe würde ihr Herz erfüllen.
    Dies war die neue Haut, um die die Giraner baten. Sobald der Geist des Überbewußtseins sie einhüllte, würden sie den ganzen Tag tanzen können, ohne Hunger oder

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