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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Kinder kuschelten sich in die Arme ihrer Mütter; Partner lagen Seite an Seite; alte Leute schnarchten, den Kopf bequem auf ein kleines Bündel oder zusammengerollte Umhänge gebettet. Sie schliefen unter freiem Himmel, so ruhig, als wären sie zu Hause in ihren Häusern.
    Marrah ging vorsichtig weiter, versuchte, auf niemanden zu treten. Bald sah sie den niedrigen, weißen, bullenkopfförmigen Eingang des Westlichen Tempels. Hinter ihr schimmerte die See matt im Mondlicht wie ein Stück graues Leinen.
    Ach wie dumm! dachte sie plötzlich. Ich bin in die falsche Richtung gegangen. Sie machte kehrt und bahnte sich einen Weg zurück durch die Stadt zum Östlichen Tempel, wo Babies geboren und besondere Gäste untergebracht wurden. Der Tempel des Ostens war ein zweistöckiges Gebäude, dekoriert mit Mutterschoß-Symbolen. Gemalte Igel, Kröten und Fische schmückten seine weißgekalkten Mauern, und über dem Haupteingang prangte ein großes rotes Dreieck. Obwohl es ein halbes Dutzend ähnlicher Tempel in Itesh gab, zeichnete sich dieser hier durch mehrere unterirdische eiförmige Kammern aus, die viele Generationen zuvor von zwei Priesterinnen angelegt worden waren, die die Giraner die »Gesegneten« nannten.
    Die Gesegneten waren in den Wäldern des Hochlands geboren und aufgewachsen, wo es Brauch war, die Göttin in Höhlen anzubeten, und wo die Toten in eiförmigen Gräbern zur ewigen Ruhe gebettet wurden. Den Gedenkliedern zufolge hatten die alten Zwillingspriesterinnen Heimweh nach den Bergen gehabt, und so beschlossen sie – nachdem sie ihren Nachfolgerinnen Platz gemacht hatten –, die Berge nach Itesh zu holen. Noch im hohen Alter von weit über Siebzig arbeiteten sie, um den harten Fels unter dem Tempel wegzuhauen, bis sie schließlich drei Kammern geschaffen hatten, wo Frauen zum Gebären hinkommen konnten und Kranke, um sich auszuruhen und geheilt zu werden. Jedes Nachfolgerpaar von Königinnen hatte eine weitere Kammer gebaut, und jetzt »saß« der Tempel auf sieben »Eiern«. Ob die Eier Vogel- oder Schlangeneier darstellen sollten, hatte Marrah nicht genau herausfinden können, aber vielleicht war es auch belanglos, da die Giraner sowohl Vögel als auch Schlangen als heilig betrachteten.
    Ein kleines Gästezimmer war an die rechte Seite des Tempels angebaut worden, um Pilger darin unterzubringen, die ihre Nächte nicht in den unterirdischen Kammern verbringen wollten. Vor diesem Anbau befanden sich eine kleine Veranda aus glatten Steinen, ein Brotbackofen und zwei Holzbänke. Als Marrah näherkam, sah sie, daß jemand auf einer der Bänke saß. Der Mann war groß, mit hellem Haar, das weißlich im Mondlicht schimmerte.
    »Stavan?« flüsterte sie, um Arang nicht zu wecken, der im Inneren des Anbaus schlief. Er drehte sich zu ihr um, sagte jedoch kein Wort. »Was ist los? Konntest du nicht schlafen? «
    »Nein«, flüsterte er mit einer rauhen Stimme zurück, die kaum wie seine eigene klang. Überzeugt, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, eilte Marrah zu ihm, aber statt aufzustehen und sie zur Begrüßung zu umarmen, wie er es sonst immer tat, blieb er einfach stocksteif sitzen. Sie stand vor ihm, wußte nicht, was sie tun sollte. Sie sehnte sich danach, ihn in die Arme zu nehmen, aber etwas an seiner Körperhaltung sagte ihr, daß er nicht umarmt werden wollte.
    »Was ist los?« fragte sie wieder. Immer noch sagte er kein Wort. »Bitte sprich mit mir. Sag mir, was passiert ist. Bist du verletzt? Bist du krank?« Ein schrecklicher Gedanke schoß ihr durch den Kopf. »Ist Arang etwas zugestoßen?«
    »Arang geht es gut«, antwortete er schließlich mit seltsam gepreßter Stimme.
    Erleichtert, daß wenigstens mit Arang alles in Ordnung war, setzte sie sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre. Sie fühlte sich kalt an. Stavan machte eine Bewegung, als wollte er seine Hand wegziehen und hätte es sich doch wieder anders überlegt. Eine Zeitlang saßen sie schweigend da, während Stavan stumm in die Dunkelheit starrte. Marrah tat ihr Bestes, um ihre Ungeduld zu zügeln und ihn nicht zu bedrängen. Schließlich räusperte Stavan sich und begann zu sprechen.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Wo ich gewesen bin? Wieso, bei dem Schlangentanz natürlich. Hast du denn nicht auch mitgetanzt?«
    »Ja, aber ich bin früh weggegangen.«
    »Hat es dir keinen Spaß gemacht?«
    »Nein.« Er schien nicht geneigt, ausführlicher zu werden. »Warum nicht?« fragte sie beharrlich.
    Er machte eine verärgerte Geste mit seiner

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