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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Kehle und drei weitere Speerspitzen, die auf seine Brust zielten, und bevor sie selbst auf die Füße springen konnte, blickte ein zweites Gesicht auf sie herab.
    »Guten Tag, Ehefrau von Vlahan«, sagte Changar. Sein Mund verzog sich zu einem langsamen, unheilverkündenden Grinsen. »Vielleicht hast du die Güte, diesen Kriegern zu erklären, was du mit Zuhans Dummkopf von einem Sohn im hohen Gras zu suchen hast.«
     

20. KAPITEL
     
    »Heil den glücklichen Bräuten,
    die den Hauch des Paradieses atmen.«
    Traditionelles Hansi-Lied
     
    Zuhan der Tapfere, Großer Häuptling aller Hansi, Sohn von Han und Herrscher der Steppe, war tot, und seine Krieger und Frauen gruben sein Grab in den kalten Schlamm mit hölzernen Hacken und Stöcken aus Hirschgeweih. Der Himmel hatte sich zu einem trüben Grau verdunkelt, und ein kalter Wind wehte aus dem Norden, heulte wie ein Wolf, als er über die Steppe fegte. Die hohen Gräser beugten die Köpfe vor dem kommenden Sturm, so wie sich Zuhans Untertanen einst vor ihm verneigt hatten, aber nach dem morgigen Tag würde sich keiner jemals mehr vor Zuhan verbeugen. Er würde Tausende von Jahren unter der Grasdecke liegen, umgeben von den Knochen seiner Pferde und den Gebeinen seiner Ehefrauen und Sklavinnen; seine feinen wollenen Gewänder würden verfaulen, seine kupferne Halskette würde sich grün verfärben, das Fleisch würde von seinen Knochen fallen, und die Würmer würden sein stolzes Herz fressen.
    Aber die Hansi-Krieger hatten keine Vorstellung, wie kurz das ewige Leben ihres Großen Häuptlings währen würde. Sie glaubten, er sei unsterblich wie die Sterne, und so arbeiteten sie trotz der wirbelnden Schneeflocken und eisigen Windböen fieberhaft weiter, um eine würdige Ruhestätte für ihn zu schaffen. Einige der jüngeren Männer gerieten dabei so ins Schwitzen, daß sie ihre Kapuzen zurückwarfen oder sogar ihre wollenen Tuniken auszogen und mit nacktem Oberkörper weiterarbeiteten. Sie knieten oder standen, während sie auf den schlammigen Boden einhackten, und ihre Frauen füllten Körbe mit dem ausgehobenen Erdreich und kippten es auf einen Haufen, der später über dem Grab aufgeschichtet würde. Es war harte Arbeit, denn jeder Korb, der geleert wurde, mußte mit Steinen gefüllt zurückgeschleppt werden, um den Boden und die Wände der Grabkammer damit auszukleiden, denn sonst würden die Erdmassen um Zuhan herum einstürzen, Han würde sich weigern, seine Seele aufzunehmen, und die Hansi würden für alle Zeiten in Ungnade fallen.
    Trotz ihrer vereinten Anstrengungen sah Zuhans Grab jedoch eher wie ein schlammiges Loch aus, als sich der Tag seinem Ende näherte, aber wenn es fertig war, würde es ein Symbol fürstlicher Würde und Macht sein. Fünfzig Pferde würden getötet, mit Stroh ausgestopft und um den Rand herum aufgestellt werden. Eine Ecke der riesigen rechteckigen Kammer würde mit Zuhans Schätzen angefüllt sein, da ein Großer Häuptling nicht mit leeren Händen ins Paradies kommen durfte: hauptsächlich mit Waffen – Speeren und Dolchen, Bogen, Pfeilen, Äxten und Schilden –, aber es würden auch Körbe mit Armbändern und Halsketten darunter sein, einige aus Kupfer, doch die meisten aus Wolfszähnen, die als besonders wertvoll galten, des weiteren weiche Wolldecken und feinste Teppiche und sogar Krüge, geschmückt mit Sonnensymbolen und gefüllt mit dem gedörrten Fleisch und den getrockneten Früchten, die Zuhan und sein Haushalt brauchen würden, um die lange Reise zu den Himmlischen Weiden zu überstehen.
    Wenn die Schätze alle sicher am richtigen Platz verstaut waren, würde Zuhan selbst zu seiner ewigen Ruhestätte gebracht werden auf einem fellbespannten Schlitten, gezogen von drei Pferden. Zulike würde ihm auf einem kleineren Schlitten folgen, und die beiden Körper würden an Seilen, die aus weißem Pferdehaar geflochten und mit Blut getränkt waren, in die Grabkammer hinuntergelassen werden. Die Krieger, die Zuhan zu Lebzeiten beschützt hatten, würden ihn auf eine Matratze aus weißem Kalbsleder betten, gefüllt mit süß duftendem Heu, und ihm seinen Dolch in seine rechte Hand und sein Pferdezepter in die linke Hand legen. Dann würde Zulike zu seinen Füßen niedergelegt werden, damit sie das Paradies nicht vor ihm erblicken würde.
    Wenn die Leichen an Ort und Stelle lagen, würden die ergebensten Krieger ihr Haar abschneiden und es ins Grab hinunterwerfen, bis Zuhan mit einer Decke der Ergebenheit in allen

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