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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Farbschattierungen, von Gold bis Schwarz, bedeckt wäre. Aber zuvor würde die Grabkammer mit einer weiteren Gabe angefüllt werden. Changar und seine Helfer würden am Rand stehen, Zuhans Konkubinen und Sklavinnen strangulieren und sie eine nach der anderen in das Grab hinunterstoßen, damit sie ihrem Herrn in der Ewigkeit Gesellschaft leisten konnten. Das war durchaus üblich, ein solch normales Ritual, daß die Krieger, die den kalten Erdboden aushoben, kaum einen Gedanken daran verschwendeten. Aber bei diesem Begräbnis sollte es ein zusätzliches Opfer geben – tatsächlich sogar zwei zusätzliche Opfer. Das eine war Vlahans jüngere Ehefrau, die hübsche kleine Wilde aus dem Waldland, die im hohen Gras mit Zuhans schwachsinnigem Sohn erwischt worden war. Da sie die Tante des neuen Großen Häuplings war, billigte jedoch nicht jeder die Tatsache, daß Vlahan sie kurzerhand an Changar übergeben hatte. Natürlich war Vlahan wütend gewesen. Welcher Mann wäre das nicht? Aber die meisten waren der Ansicht, er hätte sie auf der Stelle töten sollen, wie es einem betrogenen Ehemann zustand, statt sie zum Teil der Zeremonie zu machen. Andere wiederum sagten, Vlahan habe das Recht, mit dieser Ehefrau zu verfahren, wie es ihm gefiel – einer Ehefrau, die ihm keine Söhne geboren hatte und noch nicht einmal seine erste war –, während wieder andere flüsterten, dies sei Vlahans Art und Weise, um zu demonstrieren, daß er über die Hansi herrschte und nicht etwa der dunkelhaarige kleine Junge, der in Zuhans Zelt saß und behauptete, Achans Sohn zu sein.
    Das Opfer von Vlahans Ehefrau war schon ungewöhnlich genug, doch es war das zweite zusätzliche Opfer, welches das heftigste Getuschel auslöste, während die hölzernen Hacken und Geweihstöcke in die Erde gruben. Changar hatte verkündet, daß Stavan der Narr das Grab seines Vaters teilen solle, als wäre er ein kleines Kind statt ein erwachsener Mann, und zwar nicht, weil er mit Vlahans Ehefrau ins hohe Gras gegangen war – ein Verrückter konnte für nichts bestraft werden, weil er nicht wußte, was er tat –, sondern aus einem viel weniger akzeptablen Grund. Changar behauptete, Han persönlich habe ihm befohlen, Stavan zusammen mit seinem Vater ins Paradies zu schicken. Zwar wurden häufig weibliche Babies bei einer Bestattung geopfert und manchmal sogar kleine Jungen, wenn der Tote viele männliche Nachkommen hatte, aber der erwachsene Sohn eines Häuptlings? So etwas hatte es noch niemals gegeben, nicht in der ganzen Geschichte der Zwanzig Stämme! Schwachsinnig oder nicht, der Sohn eines Häuptlings hatte gewisse Rechte.
    Als Slehan beobachtet hatte, wie Vlahan Stavan an Changar übergab, hatte er seine Krieger und Frauen zusammengerufen und war aus dem Lager geritten. Mehrere Hansi-Krieger, die Zuhan besonders treu ergeben gewesen waren, hatten sich Slehan angeschlossen, und es ging bereits das Gerücht von Krieg um. Schlimmer noch, wenn sich die Nachricht weiter herumsprach, bestand die Möglichkeit, daß sich andere Unterhäuptlinge mit Slehan zu einer Rebellion zusammentaten. Wie verlautet, hatte Slehan gesagt, er würde sich von Achans Sohn regieren lassen, aber nicht von einem Bastard.
    Das bevorstehende Opfer von Zuhans schwachsinnigem Sohn hatte bereits böse Geister gerufen. Die Pferde waren unruhig, als witterten sie Gewalt und Verrat in der Luft. Die Kühe und Stuten ließen sich nur schwer melken, und die Schafe hatten sich zu einem verängstigten Pulk zusammengedrängt. Während der Sturm brauste und sich der Himmel verdunkelte, sprachen die Männer von Krieg, die Frauen flüsterten besorgt untereinander, und Zuhans schlammige Grabkammer wurde Stück für Stück tiefer.
    In dem Gefangenenzelt hockten Dalish, Akoah und Marrah auf einem Stapel Decken und horchten auf das Heulen des Windes und das unheilverkündende Stimmengemurmel. Manchmal konnten sie einen Stock über Fels kratzen hören oder das dumpfe Aufprallen von Steinen, die in die Grube geworfen wurden, aber bis auf die Augenblicke, wenn die Frauen kamen, um ihnen etwas zu essen zu bringen, konnten sie nichts von der Außenwelt sehen, außer dem kreisförmigen Fleckchen grauen Himmels, der über dem Rauchabzugsloch hing.
    »Werden sie uns strangulieren?« flüsterte Akoah. Ihre Augen hatten den irren, angstvollen Ausdruck eines kleinen Tieres, das in einer Falle gefangen saß. Marrah legte ihr einen Arm um die Schultern und versuchte sie zu trösten, aber Akoah zitterte so heftig, daß

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