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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ihre Furcht ansteckend war. Marrah konnte fühlen, wie Akoahs Angst durch ihren Mund eindrang und ihr die Kehle zuschnürte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie eine Bogensehne in einer Kriegerhand vibrieren, sah Zulikes Finger hilflos in die leere Luft greifen und ihren Körper mit dem Gesicht nach unten schlaff zu Boden sinken. Entsetzt schloß sie die Augen, atmete tief durch und zwang sich, statt dessen an Wunder zu denken: ein Sturm, der die Krieger in alle Winde zerstreuen und ihnen eine Chance zur Flucht verschaffen würde; ein zuckender Blitzstrahl, der Changar zu einem Häufchen Asche verbrennen würde; ein Massenansturm von Pferden und Rindern, die in panikartiger Flucht alles niederwalzten; ein Wirbelsturm oder ein feindlicher Angriff. Wenn sie ihrer Todesangst nachgab, würde sie sie überwältigen, und sie würde wie ein furchtsames Schaf auf dem Scheiterhaufen sterben.
    Ganz gleich, wie groß meine Furcht ist, ich muß mich weiterhin so benehmen, als gäbe es irgend etwas, was ich tun könnte, dachte sie. Sie zog Akoah an sich. »Keiner wird dich strangulieren«, versprach sie.
    »Aber was, wenn sie es doch tun?« Akoah biß sich auf die Lippen, und dicke Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln, wie zwei kristallene Kieselsteinchen. Draußen stöhnte und heulte der Wind, und manchmal blies eine Bö eine Handvoll Streu unter dem Rand des Zelts ins Innere. Akoah schauderte und berührte mit den Fingerspitzen ihren Hals. »Wird es schrecklich weh tun? « erkundigte sie sich gepreßt.
    »Nein«, erwiderte Dalish. »Es geht blitzschnell.« Marrah wußte, daß Dalish log. Stranguliert zu werden war alles andere als schmerzlos. Man hatte viel Zeit, um etwas zu fühlen. Was mochte es sein, was man im allerletzten Moment sah? Gewährte einem die Göttin eine Vision irgendeiner Art, oder starb man so blind und unwissend, wie man gelebt hatte? Sie wollte Dalish fragen, ob jemals irgend jemand die Qual des Strangulierens überlebt hatte und zurückgekehrt war, um zu erzählen, wie der Augenblick des Todes war, aber sie wollte Akoah nicht noch mehr angst machen, als sie ohnehin schon hatte.
    Die roten Troddeln schwangen noch immer trotzig über Dalishs Stirn, und ihr Blick war ruhig und gefaßt. Dalish war tapfer –vielleicht sogar noch tapferer als sie, Marrah. Wieder dachte Marrah daran, wie leicht es sein würde, einfach aufzugeben und zusammengekrümmt dazusitzen wie Akoah, aber da war immer noch Arang, an dessen Schicksal sie denken mußte, und Stavan. Arang saß jetzt wahrscheinlich in einem warmen Zelt und aß eine heiße Mahlzeit, weil Vlahan nicht das Risiko eingehen konnte, ihn in irgendeiner Weise zu verletzen, doch Stavan hatte vermutlich üble Schläge einstecken müssen. Sie dachte an den Moment, als Changars grinsendes Gesicht durch das Gras auf sie herabgeblickt hatte. Sie hätte Stavans Dolch aus seiner Gürtelscheide ziehen und ihn in sein Herz stoßen sollen. Sie hätte niemals zulassen dürfen, daß sie Changar lebend in die Hände fielen. Andererseits, wo Leben war, bestand immer noch die Möglichkeit einer Flucht.
    Sie wiegte Akoah tröstend in ihren Armen, bis sie zu zittern aufhörte und sich die Tränen mit einem Zipfel ihres Schals ab-wischte. Nachdem sich Akoah etwas beruhigt hatte, ließ Marrah sie los und wandte sich an Dalish. Es war höchste Zeit, daß sie beide einen Plan entwickelten – nicht deshalb, weil er vielleicht funktionieren könnte, sondern weil sie ohne jeden Plan ebenso verloren sein würden wie Akoah. »Glaubst du, Arang besitzt genug Macht, um zu verhindern, daß wir geopfert werden?«
    Dalish zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher; ich bezweifle es, ehrlich gesagt, aber andererseits würden sich vielleicht einige der rebellischeren Krieger auf seine Seite schlagen, wenn er es versuchte. Nach dem, was ich beobachtet habe, ist Vlahan allgemein unbeliebt.«
    Die beiden redeten lange Zeit. Nach einer Weile döste Akoah ein, den Kopf gegen eine Zeltstange gelehnt, aber Marrah und Dalish blieben wach, schmiedeten unmögliche Fluchtpläne und malten sich Rettungen in letzer Minute aus. Als ihnen schließlich keine Möglichkeiten mehr einfielen, saßen sie einfach still da, hielten einander bei den Händen und starrten blicklos ins Feuer. Ein Gefühl innerer Ruhe überkam Marrah. Keiner ihrer Pläne hatte auch nur eine entfernte Chance, in die Tat umgesetzt zu werden. Wenn nicht ein Wunder geschah, würden sie sterben müssen, doch statt bei dieser Vorstellung kalte

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