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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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nach einem Knäuel weißer Wolle. Bald fanden sie einen ganzen Korb voll, was nicht weiter überraschend war, da Zuhan ausschließlich weiße Kleidung getragen hatte. Marrah zupfte eine gute Faustvoll Wolle heraus und eilte dann aus dem Zelt, doch nicht bevor sie und Arang niedergekniet waren und die Göttin Erde um Glück gebeten hatten.
    Ihr Glück hielt weiter an. Niemand belästigte Marrah oder fragte sie, warum sie sich so weit von Vlahans Zelt entfernt hatte. Sie ging durch das Lager, als wäre. sie bereits unsichtbar, strebte an den Männern vorbei, die ihre hölzernen Hacken schärften, um Zuhans Grab auszuheben, und an den Frauen, die Zulikes Leichnam wuschen; vorbei an Kindern, die »Begräbnis« spielten, indem sie sich gegenseitig Asche ins Gesicht schmierten, und an Kindern, die so friedlich in der Sonne schliefen, als wäre kein Großer Häuptling jemals geboren worden oder gestorben. Sie marschierte sogar an Slehan vorbei, der so intensiv in seine Unterhaltung mit einem anderen Krieger vertieft war, daß er noch nicht einmal aufblickte. Die Hunde bellten nicht, und die Pferde wieherten nicht. Es herrschte zuviel Betrieb, als daß eine einzelne Frau aufgefallen wäre.
    Marrah nahm an, sie müßte vielleicht den ganzen Weg bis zu den Feuern der Hütejungen gehen, um Stavan zu finden, doch sie hätte wissen müssen, daß er versuchen würde, zu ihr zu kommen. Sie fand ihn im Schlamm sitzend, nicht mehr als fünfhundert Schritte von Zuhans Zelt entfernt. Er spielte mit einem Stückchen Pferdehaar und blickte noch nicht einmal auf, als sie wie aus Versehen das Knäuel weißer Wolle vor seine Füße fallen ließ. Statt dessen kicherte er irre, griff nach einer Handvoll Staub und warf ihn in die Luft, und als er in sein Gesicht rieselte, nieste er. Marrah mußte zugeben, daß er den Verrückten recht beeindruckend spielte. Er schnappte sich das Wollknäuel, schnüffelte daran, zupfte ein Stück ab und begann es sich um den Finger zu wickeln. Seine Tunika hing in Fetzen, und sein Gesicht war schwarz vor Asche und tränenverschmiert.
    Marrah blickte zu den hohen Gräsern, und er antwortete mit einem kaum merklichen Nicken. Es bestand kein Grund, irgend etwas zu sagen.
    Betont beiläufig hob sie die Wolle wieder auf und setzte ihren Weg durch das Lager fort, wo Stavan sie sehen konnte. Es hatte niemals einen günstigeren Tag gegeben, um unbeachtet umherzuwandern. Timak richtete Zulikes Leiche her, Vlahan war dabei, seine Macht zu festigen, und niemand kümmerte sich um sie. Als sie absolut sicher war, daß keiner sie beobachtete, ging sie geradewegs in das hohe Gras hinein, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
    Ein paar Minuten später saßen sie und Stavan auf dem Boden hinter einem schützenden Schirm aus hohen goldenen Halmen wie zwei Menschen, die völlig von der Außenwelt abgeschnitten waren. Er hatte seinen Arm um sie gelegt, ihre Köpfe berührten sich, und sie flüsterten hastig auf shambah miteinander, hielten nur zwischendurch kurz inne, um angespannt zu horchen. Doch es war kein verdächtiges Geräusch zu hören: nur die Klagegesänge, die aus der Richtung von Zulikes Leichnam herüberschallten, und das unablässige Dröhnen der Begräbnistrommeln.
    »Kersek«, sagte Marrah, »Pulver der Unsichtbarkeit ... Arang . von Changar gestohlen ... Bestattungsspiele ... die Krieger ... alle zusammen an einem Ort.«
    Stavan nickte. Ja, er glaubte, es könnte klappen. Ja, er würde die Pferde bereithalten. Aber der Gedanke, daß sie das Pulver in den Kersek schütten sollte, gefiel ihm gar nicht. Sie stritten noch ein wenig weiter mit gedämpften Stimmen, und schließlich gab er nach. Er würde sie das Pulver in den Kersek mischen lassen, und sobald der Zustand der Unsichtbarkeit eintrat, würde Marrah einen lauten Alarmschrei ausstoßen, und er würde die Pferde mitten in die Zeremonie hineinführen, und sie alle würden fliehen.
    Es war höchste Zeit, sich wieder zu trennen. »Ich gehe zuerst«, flüsterte Stavan, »und falls jemand auf mich aufmerksam wird, werde ich sie von dir weglocken. Warte eine Weile, Liebste, und duck dich so tief, daß dich niemand sehen kann.«
    Sie sank auf Hände und Knie und machte sich klein, während sich Stavan erhob, bis sein Kopf über die Grasspitzen aufragte. Die Sonne schimmerte golden in seinem Haar. Plötzlich zuckte er zurück und stieß einen erschrockenen Schrei aus.
    »Sei still!« rief Marrah leise. »Bist du verrückt geworden?« Aber dann sah sie den Speer an seiner

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