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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ihrem Leben gesehen.
    Sabalah war sogar noch weniger optimistisch. Obwohl der Fremde jetzt sanfter und umgänglicher erschien, konnte sie einfach nicht das Gefühl unguter Vorahnung abschütteln, während sie beobachtete, wie er langsam wieder zu Kräften kam. Als sie eines Tages neben ihm saß, um aus dem Gemeinschaftstopf zu essen, blieb ihr fast das Essen in der Kehle stecken.
    »Unterhaltet euch nicht in der Sprache von Shara, wenn er euch hören kann«, warnte sie Marrah und Arang.
    »Warum nicht? « Arang war überrascht, seine Mutter mit soviel Argwohn von einem Mann sprechen zu hören, der offensichtlich zu sehr von seiner Krankheit geschwächt war, um einem von ihnen großen Schaden zuzufügen. Seit dem Vorfall mit Majina hatte sich der Fremde ernstlich bemüht, freundlich zu den Kindern des Dorfes zu sein, und Arang fing an, ihn sehr zu mögen. Er war fasziniert von den goldenen Ohrringen und dem langen Messer und der Vorstellung, daß der Mann von irgendeinem fernen Ort gekommen war, den noch keiner zuvor gesehen hatte, noch nicht einmal Sabalah.
    Erst gestern hatte der Fremde den ganzen Morgen damit zugebracht, ein Spielzeugtier zu schnitzen, genauso geformt wie das, das an seiner Halskette hing. Als er fertig gewesen war, hatte er das Tier genommen und über den Fußboden springen lassen, und dabei hatte er geschnaubt und schrille, hohe Schreie ausgestoßen. Und dann hatte er gelacht und Arang das kleine Holztier zugeworfen und etwas gesagt, was Arang leider nicht verstand, aber was zu verstehen er sich sehnlichst wünschte.
    Statt Arangs Frage zu beantworten, wiederholte Sabalah lediglich, daß er und Marrah nur in der Sprache von Shara sprechen dürften, wenn sie allein in ihrer Schlafecke waren. »Ich habe das Gefühl, daß es Unglück bringen könnte, wenn er uns reden hört«, fügte sie hinzu. Es war eine lahme Erklärung, aber alles, woran sie sich halten konnte, war ein dumpfer Schmerz in ihrer Magengrube und das unbehagliche Gefühl, daß ein Unheil geschehen würde. Was immer es auch ist, es kommt hierher, und ich habe nicht die Kraft, es aufzuhalten, dachte sie, als sie in der Nacht schlaflos auf ihrem Fell lag und auf das Rascheln des Windes im Reetdach horchte. Aber vielleicht irre ich mich auch; vielleicht ist es nichts; vielleicht wird dieses Gefühl wieder vorübergehen.
    Doch statt sich zu legen, wurde das ungute Vorgefühl stärker. Allmählich fühlte Sabalah die Welt um sich herum immer bedrohlicher werden. Dinge, die ihr früher Spaß gemacht hatten, waren kein Trost für sie, und obwohl sie sehen konnte, daß die Sonne wie eh und je schien und daß ihre Kinder bei guter Gesundheit waren und alles in Ordnung war, konnte sie nicht die Freude empfinden, die ihr ein solcher Anblick hätte verschaffen müssen.
    Ein paar Tage bevor sie nach Hoza aufbrechen sollten, bat sie ihren Partner, Mehe, für eine Weile wieder in das Langhaus seiner Mutter zu ziehen. Mehe war Arangs
aita,
ein großer Mann mit einem buschigen Bart so dunkel wie Winterhonig. Er war aufmerksam, intelligent und freundlich und hatte einen feinen Sinn für Humor, aber obwohl er seit drei Jahren ihr Partner war und sie ihn liebte, war sie nicht mehr mit dem Herzen dabei, wenn sie miteinander schliefen.
    An dem Morgen, nachdem er gegangen war, erschien Ama mit einer Schale Tee, der pulverisierte Eichenrinde, gemahlenen Flachssamen und getrocknete Minze enthielt. »Trink das hier«, befahl sie streng.
    Sabalah trank gehorsam, doch das Problem war nicht ihr Magen. Inzwischen war sie überzeugt, solange der Fremde an ihrem Herdfeuer saß, würde kein Heiltrank, und sei er noch so stark, ihren Seelenfrieden wiederherstellen können. Bald, dachte sie, werden wir ihn nach Hoza bringen, und vielleicht wird Mutter Asha uns erlauben, ihn einem anderen Dorf zu übergeben. Aber sie wußte, daß das ziemlich unwahrscheinlich war.
    Dann, am Morgen des Tages, bevor sie aufbrechen sollten, als die Tragbahre bereits vorbereitet war und die Knochen der Toten liebevoll eingesammelt, passierte etwas, was Sabalah aus ihrer düsteren Stimmung riß. Sie arbeitete barfuß in einem Weizenfeld und grub das Unkraut mit einer hölzernen Hacke aus. Die Hacke war im Grunde nur ein langer Stock mit einer Kerbe am unteren Ende, so daß jeder störrische Schößling problemlos aus der steinigen Erde gezogen werden konnte, aber er war so gut ausbalanciert, daß sich der Holzstab fast wie von selbst in ihren Händen vor- und zurückzubewegen

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