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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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schlimm verletzt?« Ama richtete sich von den Bündeln auf und blickte Sabalah besorgt an.
    »Nein«, Sabalah lächelte, »überhaupt nicht schlimm. Tatsächlich könnte man sogar sagen, daß ich auf eine gute Art verletzt bin.« Dies ergab natürlich für die anderen keinen Sinn, außer für Sabalah, die fröhlich lachte, als sie die Worte aus reiner Erleichterung sagte, aber als die anderen sahen, daß sie wieder heiterer Stimmung war, lachten Ama, Marrah und Arang mit ihr, und zum ersten Mal seit Wochen war die ganze Familie wieder glücklich.

4. KAPITEL
    Alle drei Jahre vereinte das Fest der Toten sämtliche Dörfer des Küstenvolks bei einer großen gemeinsamen Feier. Von überall entlang der Küste reisten Vertreter der dörflichen Bestattungsgemeinschaften noch Hoza und brachten die Gebeine derjenigen mit, die seit dem letzten Fest verstorben waren. Die Knochen, von den Vögeln säuberlich abgenagt, wurden in bestickten Lederbeuteln transportiert, und jedesmal, wenn eine neue Dorfgemeinschaft zu der Versammlung stieß, hoben sie die Beutel über ihre Köpfe und verkündeten singend die Namen der Toten und ihre Heldentaten.

    »In diesem Beutel tragen wir Osaba, Sohn von Tasa,
    einen tüchtigen Händler,
    der vielen Stürmen trotzte«,

    pflegte zum Beispiel ein Dorf zu singen, und ein anderes erwiderte:

    »In diesem Beutel tragen wir Bilera,
    Tochter von Goiza.
    Sie war eine gute Jägerin,
    die uns viele Hirsche brachte.
    Die Männer waren verrückt nach ihr 
    und schliefen draußen vor ihrer Tür, 
    aber sie war sehr wählerisch.«

    Die Gesänge der Bestattungsgemeinschaften waren rauh, manchmal obszön und oftmals witzig, denn die Eulengöttin, die den Tod regierte, herrschte auch über das Leben und die Auferstehung, und wie konnte von einem erwartet werden, daß man ein langes Gesicht machte und trauerte, wenn jene, die man geliebt hatte, zur Erdengöttin zurückgebracht wurden, um wiedergeboren zu werden? Knochen waren nichts weiter als die abgeworfenen Gerippe der Toten. Ihre Seelen waren sicher in der Obhut der Göttin Erde, deshalb war es am besten, zu feiern und zu lachen, sich mit gegorenem Met und Fruchtwein zu betrinken und Geschichten davon zu erzählen, wie freundlich (oder wie böse) eben jene weißen Knochen gewesen waren, als sie noch mit Fleisch bedeckt auf Erden wandelten.
    Das Ergebnis war ein Fest, das drei Tage lang dauerte. Immer wurde ein neues Standbild der Göttin aufgestellt, und es gab ein großes Festgelage und Gesänge, die mit einem Tanz um eine hohe hölzerne Stange inmitten des Festplatzes endeten. Wenn eine Frau Probleme hatte, schwanger zu werden, konnte sie eines der Göttinnenstandbilder mit Honig und Öl salben, sich mit ihrem nackten Körper daran reiben und um Glück bitten, oder – die wirkungsvollere Methode – einen der jungen Männer aus einem anderen Dorf auffordern, mit ihr in die Wälder zu gehen. Liebe war in Hoza leicht zu bekommen, und im darauffolgenden Frühjahr wurden immer viele Kinder geboren.
    Das letzte Mal, als man ein Standbild der Göttin aufgestellt hatte, war Marrah noch zu jung gewesen, um bei der Zeremonie dabeizusein. Jetzt war sie eine Frau, aber noch so unerfahren, daß ihr das Spektakel ehrfürchtige Scheu einflößte. Sabalah hatte den Fremden ihrer Obhut anvertraut, doch als sie am ersten Morgen des Festes neben seiner Tragbahre stand, vergaß sie seine Anwesenheit beinahe. Alles, woran sie denken konnte, war das neue Standbild der Göttin. Sie war eine tonnenschwere, riesige Figur, mehr als dreimal so groß wie ein erwachsener Mann, und eine falsche Bewegung konnte sie krachend zu Boden stürzen lassen. Vielleicht würde genau das passieren und vielleicht auch nicht, aber nur die steinerne Göttin selbst wußte, ob sie aufrecht stehend unter den anderen Göttinnen von Hoza leben wollte, und sie schien noch unentschlossen, neigte sich erst gefährlich in die eine Richtung und dann in die andere, als könnte sie sich jeden Moment entschließen, zu fallen und die Männer unter ihrem Gewicht zu zermalmen, die versuchten, sie anzuheben.
    Wenn sie umkippte, dann wäre das eine Katastrophe. Es hatte fast drei Jahre gedauert, um sie für diesen Tag vorzubereiten. Zuerst mußte sie aus dem Mutterschoß der Erde gewonnen werden. Ganze Mannschaften junger Männer hatten Monate damit zugebracht, den Stein aus einem Granitbruch zu hauen und sie zu formen, wobei sie nur Feuer, Wasser und steinerne Meißel benutzt hatten.
    Sie hatten die Umrisse

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