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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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nicht. Aber er macht mir Kummer. Er ist nicht wie unsere Männer. Ich weiß nicht genau, wie ich den Unterschied beschreiben soll, außer indem ich sage, daß er seine Kraft auf unverantwortliche Art benutzt.«
    Sabalah sagte nichts. Ihr war gerade ein schrecklicher Gedanke gekommen, einer, den sie keinem Menschen anvertrauen würde: Vielleicht ist es ein Fehler, das Leben dieses Fremden zu retten. Vielleicht sollten wir ihn einfach sterben lassen.
    Aber der Fremde starb nicht. An diesem Abend sank sein Fieber auf normale Körpertemperatur und kehrte niemals zurück. Dünn und blaß und immer noch von schrecklichen Hustenanfällen geschüttelt, lag er vor dem Feuer, während er alle Anwesenden mit trüben, fragenden Augen anstarrte. Zuerst war er so schwach, daß sie ihn abwechselnd pflegten, ihn wie ein Kind waschen und füttern mußten. Manchmal, wenn Marrah oder Sabalah neben ihm knieten, um ihm Muschelschalen voll warmer Fleischbrühe einzuflößen, berührte er sanft ihre Hand, als wollte er ihnen danken. Wenn einer der Männer ihn versorgte – Esku oder Belaun oder besonders Seme –, dann hellte sich das Gesicht des Fremden auf, und er versuchte, in seiner unverständlichen Sprache mit ihnen zu reden, wobei er komplizierte Gesten vollführte, die keiner verstand.
    Manchmal jedoch gelang es ihm, einfache Dinge zu übermitteln und sich verständlich zu machen. Eines Morgens zum Beispiel zeigte er Belaun mit Gebärden, daß er gern nach draußen gebracht werden wollte. Belaun nahm den Kranken mit Schwung auf die Arme, trug ihn hinaus in den Sonnenschein und setzte ihn behutsam auf den Muschelpfad, mit dem Rücken gegen die Hauswand gelehnt.
    »Der arme Kerl«, sagte Belaun zu Marrah. »Er wiegt nicht mehr als ein Armvoll Feuerholz.«
    Marrah, die damit beschäftigt war, einen Korb zu flechten, nickte gedankenverloren und machte sich wieder an ihre Arbeit. Nach einer Weile war sie so intensiv darin vertieft, die Schilfrohre zu einem Muster zu flechten, daß sie die Anwesenheit des Fremden neben sich vergaß.
    Als sie schließlich wieder aufblickte, sah sie, daß Zakur und Laino herbeigekommen waren, um ihn zu beschnüffeln. Nachdem sie sich davon überzeugt hatten, daß er keine Bedrohung war, legten die Hunde ihre zotteligen Köpfe in den Schoß des Fremden, und er streichelte sie, während er mit einem derart einsamen Ausdruck in den Augen aufs Meer hinausstarrte, daß Marrah ihren Korb und die Arbeit des ganzen Morgens für die Fähigkeit gegeben hätte, ein freundliches Wort zu ihm zu sagen, das er verstehen konnte.
    Er war jedoch nicht immer eine so friedliche, angenehme Gesellschaft. Obwohl er jetzt die Medizin, die sie ihm gaben, ohne Protest einnahm, konnte er plötzlich und unvorhersehbar unhöflich sein: Er schob die Frauen abrupt weg, wenn er genug gegessen hatte, warf Dinge achtlos auf den Fußboden oder sträubte sich beharrlich, wenn sie ihn zu waschen versuchten, selbst wenn sie das Wasser vorher angewärmt hatten.
    Zu Ama war er besonders unhöflich, als machte ihr weißes Haar sie zu einem Menschen, der es kaum wert war, beachtet zu werden –ein schwerer Fehler von ihm, dachte Marrah, da nur ein Wort von Ama genügt hätte, um ihn hinauszuwerfen und in den Wäldern sterben zu lassen –, doch Ama war zu sehr damit beschäftigt, sich um die Familie und die Belange des Dorfes zu kümmern, um seinem unhöflichen Verhalten viel Beachtung zu schenken, und nach einigen kleineren Vorfällen ignorierte sie ihn einfach.
    Die Tage vergingen, doch Marrah war sich immer noch nicht sicher, ob sie den Fremden mochte oder nicht, und ihre widersprüchlichen Gefühle wurden von Arang, Sabalah und jedem anderen geteilt, der mit ihm in Kontakt kam. Eine Zeitlang waren sie schwankend, empfanden in der einen Minute Mitleid mit ihm und in der nächsten Ärger, bis zu dem Nachmittag, an dem er etwas so Unerhörtes tat, daß er das gesamte Dorf gegen sich aufbrachte.
    Es geschah ungefähr drei Wochen nach seiner Ankunft. Wieder einmal saß er draußen und blickte aufs Meer hinaus. Inzwischen konnte er aus eigener Kraft gehen, und er hatte es sich auf einem zusammengefalteten Schaffell bequem gemacht, seine langen Beine gekreuzt und sich mit dem Rücken gegen die Seite des Langhauses gelehnt. Marrah, mehrere andere Frauen, einschließlich Lepa, und vier Männer standen ein paar Schritte entfernt und unterhielten sich über das Fest der Toten, das demnächst in Hoza stattfinden sollte.
    »Ich habe gehört, das neue

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