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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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fauchte sie. »Und wenn du jemanden zum Übersetzen brauchst, dann komm nicht damit zu mir.«
    Stavan hielt sie am Arm fest. »Warte, bitte, ich wollte dich nicht wieder verärgern. Anscheinend mache ich alles falsch. Ich entschuldige mich dafür, daß ich dich ausgelacht habe. Es war dumm von mir. Ich habe mich zu dir gesetzt in der Hoffnung, wir könnten Freunde werden.«
    »Warum?« Marrah schob störrisch das Kinn vor. »Ich weiß, zur Zeit bin ich die einzige, die dich verstehen kann, aber wenn wir ins Dorf zurückkehren, werden meine Mutter und mein Bruder Arang für dich übersetzen können, deshalb wirst du meine Freundschaft nicht brauchen.«
    »Ich möchte dein Freund sein, weil ich finde, du bist ... interessant.«
    »Interessant?« Etwas von dem Zorn wich aus ihrem Gesicht. Keiner hatte sie jemals zuvor »interessant« genannt, und sie mochte den Klang des Wortes.
    »Ja. Deine Art zu denken ist anders als die Art, wie ich über die Dinge denke, und ich finde das interessant. Wenn ich dir etwas über mein Volk erzähle, kann ich niemals vorhersagen, wie du reagieren wirst. Tzinta – die Frau, die mich Shambah lehrte – war auch so, völlig unberechenbar. Du und Tzinta seid beide wie –« wieder suchte er nach dem richtigen Wort, »ihr benehmt euch wie Pferde, die niemals gezähmt wurden.« Er grinste. »Und ich hatte schon immer etwas übrig für einen wilden Ritt.«
    Die sexuelle Bedeutung des Ausdrucks »wilder Ritt« verstand Marrah nicht, aber sie merkte, daß Stavan sein Bestes versuchte, um freundlich zu sein. Ein wenig, aber nicht vollkommen besänftigt, setzte sie sich wieder neben ihn. Ein leicht verlegenes Schweigen breitete sich aus.
    »Ich möchte dir einige gute Dinge über mein Volk erzählen und über das Land, aus dem ich komme«, sagte Stavan schließlich. »Es
gibt
gute Dinge, weißt du. Zum Beispiel, daß das Grasmeer unendlich schön ist.« Er hob eine Hand. »Ich will damit nicht sagen, daß es schöner wäre als euer Land, aber ich glaube, wenn du es sehen würdest, wärst du mit mir einer Meinung, daß es nur wenige Orte auf der Welt gibt, die ein schönerer Anblick sind. Im Frühling verwandelt sich das Grasmeer in einen bunten Teppich aus Blumen, der sich in alle Richtungen ausdehnt, so weit das Auge reicht. Eine spezielle Blume blüht dort, eine weiße, die wir ›Hans Braut‹ nennen, deren Blüte so groß wie eine Männerfaust wird, und dann gibt es wiederum andere, so klein und zart, daß du Dutzende davon in deiner Handfläche halten könntest.«
    Er fuhr fort, das Grasmeer zu beschreiben, wie es im Winter aussah, wenn sich endlos weite Schneeflächen von Horizont zu Horizont erstreckten, erzählte von Flüssen, die so hart gefroren waren, daß man sein Lager darauf errichten konnte, und einem schwarzen, samtigen Himmel, über und über mit glitzernden weißen Sternen bestickt, und während er erzählte, vergaß Marrah, daß sie wütend auf ihn gewesen war. Manchmal, wenn er nicht das passende Wort finden konnte, stotterte er, und sie mußte ihm helfen, aber abgesehen von solch unbedeutenden Fehlern, sprach er mit einer Wortgewandheit und Farbigkeit, die die Welt der Steppen vor Marrahs geistigem Auge lebendig werden ließ.
    Sie war gefesselt. Sie hatte immer reisen wollen, und jetzt – in einem gewissen Sinne – tat sie es. Stavans Schilderungen ließen sie den Schweiß und das Blut riechen, wenn im Frühjahr die Kälber geboren wurden, die Hitze des Hochsommers, den Staub, der in Walken aufstieg, wenn die Hansi ihre Herden zu neuen Weidegründen trieben. Durch seine Augen sah sie das Vieh geduldig auf der Weide ausharren, den Rücken mit dem ersten Schnee des Winters bedeckt; sah hohe Lederzelte am Ufer klarer Flüsse stehen, sah in der Abenddämmerung den Rauch in Kräuseln von Kochfeuern aufsteigen. Sie hörte das Lachen der Kinder, wenn sie im hohen Gras spielten, das Heulen des Windes, die Rufe der Wachteln, die einander im Morgengrauen zuriefen. »Nanu, du bist ja ein richtiger Poet! « rief sie erstaunt.
    Er machte ein verlegenes Gesicht. »Ich langweile dich sicher.« »Nein, überhaupt nicht. Erzähl mir mehr.«
    »Wirklich? «
    »Ja, bitte.«
    »Dann werde ich dir über mein Volk selbst erzählen.« Er hielt einen Moment inne. »Mir ist klar, daß du inzwischen schon viel über meine Leute weißt, was dir nicht gefällt, aber wie ich schon sagte, gibt es auch gute Dinge über sie zu berichten. Sie sind ein mutiges Volk, das tapferste im gesamten Grasmeer.

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