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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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welches andere Leben gab es denn für einen Mann? Er hatte eine schöne Singstimme, aber Singen und Tanzen war etwas, was Krieger nur taten, wenn sie die heiligen Pilze aßen und sich auf eine Schlacht vorbereiteten. Männer kochten nicht oder töpferten oder sammelten wilde Kräuter oder nähten Kleidung oder gerbten Leder oder kümmerten sich um Kinder oder taten sonst eines der Dinge, die Stavan wirklich Freude machten. Ab und zu konnte ein Mann vielleicht von den Göttern dazu auserkoren werden, ein Wahrsager und Heiler zu werden, wie es Changar passiert war, als ihn ein Blitz getroffen und er überlebt hatte, aber das einzige Leben für die meisten Männer war nun einmal das Leben eines Kriegers, und wenn das für die meisten galt, dann galt es ganz besonders für den jüngsten Sohn eines Großen Häuptlings.
    Dennoch, selbst als Changar die Zeichen in Stavans Haut ritzte, die jedem, der Stavan sah, sagen würden, daß er für immer ein Krieger der Hansi war, flehte er zu Han, daß er niemals wieder würde in eine Schlacht ziehen müssen, und zu seinem Erstaunen erhörte Han seine Gebete und erfüllte ihm seinen Wunsch, denn nicht lange danach kehrte Achan aus dem Westen zurück, legte sich im Zelt seines Vaters zum Schlafen nieder und träumte von den goldenen Zelten von Han. Bald darauf wurde er regelrecht besessen von der Idee, wieder gen Westen zu reisen und die sagenhaften Zelte zu finden, und da er beeindruckt war von Stavans Mut und der Tatsache, daß dieser Shambah sprach, überredete er Zuhan, Stavan mit ihm gehen zu lassen. Und so war Stavan vier Jahre lang mit seinem Bruder durch ferne Länder gewandert, ohne jemals zugeben
    zu müssen, daß ihm Friede bei weitem lieber war als Krieg, daß er keine Freude an grausamen Schlachten hatte und nicht wie andere Männer war.
    An diesem Abend, nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, ging Stavan zu der Stelle, wo Marrah saß, und setzte sich neben sie. Er hatte bemerkt, daß sie ihm den ganzen Tag aus dem Weg gegangen war, und er befürchtete, wenn er sich jetzt nicht mit ihr aussprach, würde er vielleicht keine zweite Chance mehr bekommen.
    »Es tut mir leid, daß ich dich heute nachmittag aufgeregt habe.« Die Worte kamen nicht leicht über seine Lippen. Ein Krieger entschuldigte sich kaum jemals bei jemandem und schon gar nicht bei einer jungen Frau, aber er war vernünftig genug, um einzusehen, daß er sich hier in einer anderen Welt bewegte, in der die alten Regeln nicht mehr galten.
    »Das sollte dir auch leid tun.« Statt den Kopf zu beugen, wenn sie mit ihm sprach, blickte sie ihm direkt in die Augen, eine Angewohnheit, die er beunruhigend fand. »Ich habe den ganzen Tag lang über die Dinge nachgedacht, die du mir erzählt hast, und je mehr ich darüber nachdenke, desto ärgerlicher werde ich. Sklavinnen, Kriege, Konkubinen! Von solchen Dingen habe ich überhaupt noch nie gehört! Ich glaube nicht, daß du so schlimm bist, zumindest nicht, soweit ich das nach so kurzer Zeit beurteilen kann, aber die Gebräuche deines Volkes hören sich schrecklich an.«
    Stavan war wütend. Er war gekommen, um Frieden zu schließen, und nicht, um von einer Wilden beleidigt zu werden, die gar nicht wußte, wovon sie redete. »Sie haben ihre guten Seiten«, erwiderte er steif.
    Sie stieß ein ungläubiges Schnauben aus, das ihn an eine widerspenstige Stute erinnerte. »Nun, wenn sie die haben, dann hast du mir aber bisher noch nicht erzählt, was das für Eigenschaften sein sollen. Nach dem, was ich gehört habe, sollte man ihnen allen die Ohrläppchen abschneiden!« Marrah hieb scharf mit der Hand durch die Luft, als wäre sie durchaus bereit, das Abschneiden selbst zu übernehmen, und funkelte Stavan dabei grimmig an.
    Einen Moment lang saß er reglos da, dann fing er an zu lachen –doch es war kein höfliches Lachen, sondern ein schallendes, herzhaftes, tief aus dem Bauch kommendes Lachen, das ihn krebsrot im Gesicht werden ließ und einen Hustenanfall bei ihm auslöste. Er wußte, Marrah würde beleidigt sein, doch er konnte einfach nicht anders.
    »Was ist denn so lustig? «
    »Du!« erwiderte er keuchend. »Die Vorstellung, wie du den Hansi-Kriegern die Ohrläppchen abschneidest, ist urkomisch. Großer Han, ist das köstlich! Und ich wette sogar darauf, daß du es fertigbringen würdest. Dieser Ausdruck auf deinem Gesicht würde selbst den mutigsten Mann zu Stein erstarren lassen.«
    Marrah sprang auf die Füße. »Iß doch Ziegendung, verdammt noch mal!«

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