Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Rest der Sharaner zu kämpfen begonnen hätte.
Plötzlich öffnete sich der Himmel über den Nomaden, und es regnete Pfeile und Felsbrocken auf Vlahans Männer hinab. Die Sharaner warfen alles, was ihnen gerade in die Hände fiel: alte Krüge, Töpfe mit kochendem Wasser, Statuen, Webstuhlgewichte, sogar Feuerholz. Hastig versuchten die Nomaden, in Deckung zu gehen – vergebens!
»Wir werden von Weibern und Feiglingen angegriffen!« brüllten die Unterhäuptlinge ihren Männern zu. »Bleibt gefälligst auf eurem Posten und schlagt zurück! Jeder Verräter, der den Schwanz einzieht und wegläuft, wird stranguliert! «
Doch als weiterhin Steine herunterhagelten und Pfeile durch die Luft sausten, machten selbst die weißgewandeten Unterhäuptlinge kehrt und rannten Hals über Kopf den Pfad talwärts – zur ewigen Schande ihrer Väter und Familien und ihrer Stämme.
In jener Nacht entzündeten die Sharaner Freudenfeuer auf den Klippen und feierten ihren Sieg mit Gesang und Tanz und Dank gebeten. Wie durch ein Wunder waren nur fünf der Jäger verwundet worden – wahrscheinlich, weil die Nomadenbogenschützen gewöhnt waren, in gerader Linie auf ihre Feinde zu schießen, statt in einem Winkel zu zielen. Zwei der verletzten Jäger hatten nur oberflächliche Kratzer davongetragen, und die drei, die ernster getroffen waren, würden mit den erprobten Kräutertinkturen bestimmt genesen.
»Wir haben den Kampf gewonnen! « erklärte Marrah den Sharanern; dann rief sie die Jäger zu sich und verteilte Becher mit Wein –obwohl Wein knapp war –, und alle tranken auf den Mut ihrer Männer. Danach stimmten sie geschlossen das »Lied des Widerstands « an. Sie waren sich darüber im klaren, daß sie erneut würden kämpfen müssen; aber jetzt wußten sie, daß die Verteidigung möglich war. Hiknak drückte es am besten aus. Sie sprang auf die Füße und hob Keshna hoch, so daß alle sie sehen konnten.
»Sharaner!« rief sie. »Heute habt ihr tapfer gekämpft. Dank euch hat dieses kleine Mädchen wieder eine Zukunft! «
Ungefähr zur gleichen Zeit, während Hiknak den Sharanern zu ihrem Mut gratulierte, saß Changar in Vlahans Zelt und war Zeuge, wie sich Vlahan immer mehr in Zorn hineinsteigerte.
Der Anführer stampfte hin und her und schlug mit seiner Lederpeitsche gegen die Zeltstangen. »Du Idiot!« tobte er. »Du dämlicher Abkömmling einer räudigen Hündin! « Vlahans Augen quollen hervor, und sein roter Bart stand von seinem Kinn ab wie die Haut von einem Froschhals. »Und du behauptest, ein
Wahrsager
zu sein? «
»Aber ja, Rahan«, erwiderte Changar milde. »Das tue ich.« Er blickte nachdenklich zu Vlahan hoch, während er sich insgeheim fragte, warum Han die Hansi bloß mit einem derart zweitklassigen Häuptling gestraft hatte. Wenn der alte Zuhan eine Schlacht verlor, dann hatte er den Fehler zuerst einmal bei sich selbst gesucht; aber Vlahan hatte es immer eilig, jemand anderen zu finden, dem er die Schuld zuschieben konnte.
Vlahan fuhr zu Changar herum, und seine Stimme klang plötzlich gedämpft und drohend. »Weißt du eigentlich, was heute da draußen passiert ist? Oder warst du zu sehr damit beschäftigt, deine verfluchten Pilze zu fressen und deine eigene Pisse zu trinken, um etwas davon mitzubekommen?« Er baute sich vor Changar auf, beugte sich hinab und reckte sein Gesicht so dicht vor das Changars, daß sich ihre Nasen fast berührten. »Du hast mir einen leichten Sieg versprochen, du seniler alter Narr, und statt dessen wurden wir
geschlagen! «
»Sag nicht ›geschlagen‹, Rahan. Besser klingt ›aufgehalten‹.«
»Ach, so nennst du das also! So nennst du das also, wenn vierzig Hände Krieger wegen eines steineschleudernden Gesindels die Flucht ergreifen? So bezeichnest du das, wenn sie zehn meiner besten Männer verwunden oder töten?«
Changar nickte.
Vlahan wich zurück und spuckte ihm voller Verachtung ins Gesicht. »Du bist tot«, verkündete er. »Ich werde dich eigenhändig aufknüpfen!«
Changar rührte sich nicht, ließ den Speichel an seinem Gesicht heruntertropfen, als ob er gar nicht vorhanden wäre; doch in den Tiefen seiner Augen flackerte etwas Wolfsähnliches, Haßerfülltes auf. Ein klügerer Mann als Vlahan hätte sofort erkannt, daß es äußerst gefährlich war, Changar zu demütigen. »Als dein Wahrsager würde ich dir davon abraten, mich zu töten, Rahan«, grollte Changar verhalten.
Vlahan lachte gehässig. »Ich wette darauf, daß du mir ›davon
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