Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Sharaner würden nicht wie die Hühner davonrennen oder wie erstarrt dastehen und gelähmt vor Entsetzen auf die Krieger starren wie jene armen Shambahner, die nicht gewußt hatten, was Krieg ist, bis die Hansi-Krieger sie niederritten.
Ihre Leute würden sich gegen den Feind behaupten, würden gewinnen, wenn sie konnten, und wenn nicht, im Kampf untergehen. Das Lied der jungen Weberin verkündete die Wahrheit: Sie waren alle ein Volk, verbunden in Liebe.
Während die Sharaner sangen, hatte das Blatt bereits begonnen, sich zu ihren Gunsten zu wenden. Die Nomaden erreichten den Fuß der Klippen, und dann – als sie sich plötzlich einer massiven Felswand gegenüberfanden, die sie nicht erklettern konnten, und einem Pfad, den kein Pferd bezwingen konnte – begannen sie, kopflos hin-und herzureiten und nach rechts und links auszuschwenken wie ein Schwarm von Fischen, der in einer unsichtbaren Reuse gefangen ist.
Wo war der schnelle Sieg, den ihr Häuptling versprochen hatte? Wo waren die Frauen, das Gold und die rückgratlosen Mutterleute, die angeblich so mühelos zu überwältigen waren? Laut Vlahan hatten die Sharaner keine Krieger oder Pferde oder auch nur einen Speer, der es wert war, darauf zu spucken; aber dort standen sie, knapp außerhalb der Reichweite der Hansi: zu feige, um zu kämpfen, und zu schlau, um herunterzusteigen.
Die Krieger brannten darauf, Köpfe wie Trophäen zu sammeln und Ruhm einzuheimsen; im Moment konnten sie jedoch nichts anderes tun, als wild durcheinanderzubrüllen, Staub aufzuwirbeln und ihre Pferde zu erschöpfen; derweilen standen die Mutterleute oben am Rand des Felsvorsprungs und sangen irgendein verrücktes Lied wie ein Haufen Schlappschwänze. Wenn ihre Feinde jemals von dieser Schlacht erfuhren, würden die Hansi und ihre Verbündeten zum Gespött der ganzen Steppe werden.
Vlahan, der den Überfall anführte, wußte, wenn er nicht bald etwas unternahm, würde er einen Hansi-Pfeil in den Rücken bekommen. Er hob die Hand, ließ den gesamten Trupp anhalten und saß kerzengerade im Sattel, während er seine Männer herausfordernd anfunkelte. Changar hatte ihm einen leichten Sieg versprochen; doch statt dessen fand er sich in einer jener prekären Situationen wieder, die damit enden konnte, daß ein Häuptling von seinen eigenen Männern dahingemetzelt wurde.
Am Abend zuvor, als ihm seine Kundschafter bestätigten, daß die Sharaner Zuflucht auf den Klippen gefunden hatten, schwante ihm bereits Übles ... aber er hätte sich niemals träumen lassen, daß nicht ein einziger Mann herunterkommen und kämpfen würde! Die Männer dieses Muttervolkes besaßen keinen Stolz; sie waren Abschaum. Und Vlahan beschloß, sie nach ihrer Unterwerfung allesamt auf Pfähle aufzuspießen. In der Zwischenzeit mußte er sich jedoch etwas einfallen lassen, wie er mehrere hundert seiner eigenen Krieger beschwichtigen konnte, bevor sie über ihn herfielen.
»Wenn die Feiglinge nicht herunterkommen wollen«, brüllte er, »dann werden wir uns hinaufbewegen und sie holen!« Das gefiel seinen Mannen. Sie stießen Jubelrufe aus und schwenkten ihre Speere.
»Vlahan! Vlahan! Sohn von Han!« riefen sie im Sprechchor.
Siegessicher ritt Vlahan zu dem Pfad, nur um zu entdecken, daß ein mannshoher Felsbrocken den Einstieg so sauber versperrte wie ein Stöpsel den Wasserschlauch. Er spähte über den Felsblock hinweg, wobei er die Sharaner über sich ignorierte, und sah, daß noch weitere Felsblöcke auf dem unteren Teil des Pfades verstreut lagen und daß tiefe Rillen in der Erde klafften, wo wiederum Felsblöcke aufgeprallt und weitergerollt waren.
Vlahan drehte sich zu den Unterhäuptlingen um, die in respektvollem Abstand auf ihren Pferden saßen und auf Befehle warteten. »Schafft mir diese Steine aus dem Weg«, zischte er.
Die Unterhäuptlinge, die nicht die Absicht hatten, mitten in einer Schlacht abzusitzen, gaben den Befehl an ihre Krieger weiter. »Entfernt die Steine«, befahlen sie. Einen Moment sah es so aus, als würden die Krieger rebellieren. Körperliche Arbeit oblag ausschließlich Frauen und Sklaven; jeder einzelne der Waffenträger fühlte sich beleidigt bei der Aussicht, in Schweiß zu geraten und sich abzuschuften mit dem Beseitigen von Felsblöcken.
Der älteste der Unterhäuptlinge verengte die Augen zu Schlitzen und ließ seinen Blick von Krieger zu Krieger wandern. »Ein Fohlen«, sagte er, »für jeden Mann, der freiwillig vortritt.« Daraufhin trabten ein Dutzend Krieger
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