Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
abraten‹ würdest, du alter Scharlatan. Nenn mir einen einleuchtenden Grund, warum du
nicht
sterben solltest? «
»Du kannst ohne mich nicht gewinnen, Rahan.« Changar hielt einen Moment inne. »Diese Sharaner werden von Frauen regiert, und du verstehst überhaupt nichts von Frauen.«
»Ha!« lachte Vlahan spöttisch. »Aber du wohl, nicht wahr? Es heißt, du müßtest deine Frauen zuerst in Fesseln legen lassen, bevor du sie besteigen kannst; es heißt, du müßtest dich im Blut einer Ziege wälzen, um hart zu werden. Es geht das Gerücht um, daß dein Pimmel nicht größer als der Schwanz eines Moskitos ist.« Wieder schob er sein Gesicht so dicht vor das Changars, daß dieser den säuerlichen Geruch von Vlahans Magenverstimmung riechen konnte. »Also, was kannst
du
mir über Frauen sagen?«
Plötzlich packte Changar Vlahans Kopf zu beiden Seiten und zog ihn zu sich herab. Er hielt seinen Mund dicht an Vlahans Ohr und begann zu flüstern. Während er sprach, geschah etwas Erstaunliches mit Vlahan: Seine Schultern entspannten sich, seine Haltung wurde locker, und die Reitpeitsche fiel unbeachtet zu seinen Füßen nieder.
»Ja «, murmelte Vlahan. » Ja, das ist ein wirkungsvoller Plan. Ja, du hast recht.«
Changar fuhr fort zu flüstern, wobei er mehrfach ein bestimmtes Wort wiederholte. Es war ein Name, der aus zwei Silben bestand, und zwar nicht aus der Hansi-Sprache.
Nicht lange danach hatte Changar wieder sein eigenes Zelt aufgesucht. Keru saß auf seinem Schoß, und er streichelte die Wangen des Jungen, während er ihn aus einem Wasserschlauch trinken ließ. Der Wasserschlauch war mit einer dünnen, honigsüßen Flüssigkeit gefüllt, und das Kind trank bereitwillig.
»Trink du nur, kleiner Mann«, säuselte Changar. »Trink dich richtig satt, mein hübscher Häuptling.«
Während er trank, nahm Kerus Gesicht einen zufriedenen, trägen Ausdruck an. Seine Unterlippe wurde voll und sinnlich, und seine dunklen Augen waren mit einem Blick unverhüllter Bewunderung auf Changar gerichtet.
Zu Anfang, als Keru noch ein heimwehkranker Junge von vier Jahren gewesen war, hatte er Changar gar nicht gemocht; aber jetzt, wo er fast ein ganzes Jahr älter war, hing er sehr an dem alten Wahrsager. Changar hatte grüne Augen, die Keru an den Süßwassersee erinnerten. Er hatte Keru in seinen Armen gewiegt, ihn an sich gedrückt und mit Süßigkeiten gefüttert, und wenn Keru nicht gewußt hätte, daß es eine schreckliche Beleidigung war, hätte er gesagt, daß Changar mit seiner Güte einer Mama glich.
Als Keru genug getrunken hatte, legte Changar den leeren Wasserschlauch beiseite und begann zu sprechen. Seine Stimme klang gedämpft und ruhig.
»Wo bist du, kleiner Häuptling? «
»An einem schönen Ort.«
»Und wie sieht dieser Ort aus?«
Der Junge gab keine Antwort. Changar wartete geduldig. Jeden Tag flößte er dem Jungen ein wenig mehr von dem mit Drogen vermischten Trank ein, und jeden Tag entfernte sich Keru weiter und weiter von der Wirklichkeit. Der Trank bestand aus Honig, pulverisierten Kräutern und den Blüten einer Pflanze, die so giftig war, daß drei kleine Prisen genügt hätten, um einen erwachsenen Mann zu töten; aber Changar war sehr vorsichtig. Er maß die Dosis stets sorgfältig ab, gab dem Jungen nur gerade genug und kein Jota zuviel.
Zwei ohnehin bedeutungslose Hansi-Mädchen hatten dran glauben müssen, bevor er exakt das richtige Maß gefunden hatte, doch es war die mühsamen Experimente wert gewesen!
Soweit Changar es beurteilen konnte, hatte der Junge keine Ahnung, daß er in einem Zelt mitten in den Trümmern von Shara saß. Niemals rief er nach seiner Mutter oder bat darum, mit seinem Onkel Arang sprechen zu dürfen; schon lange jammerte er nicht mehr, wann Stavan denn endlich käme, um ihn zu holen, wie zu Beginn seiner Gefangenschaft.
Er lebte in einer Welt bunter Träume und wirbelnder Lichter und wurde nur dann böse, wenn Changar ihm den Trank vorenthielt. Dann schlug Keru wütend um sich, schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd, und er schluchzte und bettelte; doch sobald Changar den Schlauch an seine Lippen setzte und ihn trinken ließ, beruhigte er sich wieder und vergaß alles um sich herum.
Changar streichelte dem Jungen sanft übers Haar. »Zu wem gehörst du, kleiner Häuptling? «
Keru blickte ihn verträumt an. »Ich gehöre zu dir, Onkel Changar.«
»Was sollst du tun, wenn du dieses Geräusch hörst?« Changar spitzte die Lippen und ahmte das
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