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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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einer Reihe schmerzhafter Stiche bestand kein Zweifel mehr.
    Changar schlürfte die süße Flüssigkeit aus der Wabe, spuckte das Wachs aus und wies dann seine Gehilfen an, ihm sein Pferd zu bringen. Ein Mann von geringerer Intelligenz wäre direkt zu Vlahan gegangen, aber Changar war alt und gewitzt.
    Ihm war bekannt, daß Vlahan nicht die geringste Vorstellungskraft besaß und nur an die Dinge glaubte, die er sehen und anfassen konnte. Vlahan hatte niemals die heiligen Pilze gegessen; er konnte mit Visionen und mysteriösen Erscheinungen nicht mehr anfangen als ein Schaf. Wenn Changar zu Vlahans Zelt ginge und ihm erzählte, daß er sich in der Nacht in eine Fledermaus verwandelt hatte, zu den Klippen geflogen war und dort eine Möglichkeit erblickt hatte, die Sharaner zur Kapitulation zu zwingen, würde Vlahan ihm die Hunde auf den Hals hetzen oder ihm womöglich noch Schlimmeres antun.
    Als sein Pferd gebracht wurde, humpelte Changar aus seinem Zelt und gab dem Tier einen kleinen getrockneten Apfel aus seiner Handfläche zu fressen. Es sah nach einem guten Tag für einen Erkundungsritt aus. Der Himmel war klar, eine erfrischende Brise wehte vom See herüber und kühlte die Luft. Mit majestätischer Arroganz schlang Changar seinen Mantel fester um sich und befahl seinen Gehilfen, ihn auf den braunen Hengst zu heben und seine Beine so geschickt festzubinden, daß er nicht abrutschte.
    An diesem Morgen nahm er Keru nicht mit, und er ritt auch nicht zum Fuße der Klippen. Statt dessen zog er flußaufwärts, mit drei Jungen an seiner Seite; als er sicher war, daß ihn kein Sharaner mehr beobachten konnte, wandte er sich nach Süden und bahnte sich langsam einen Weg durch den Wald. Manchmal hielt er an und schickte einen seiner Gehilfen voraus, aber die Jungen meldeten jedesmal, daß der Weg frei sei.
    Bald gelangten sie zur Rückseite der Klippen. Unterhalb von ihnen wuchs dichtes Gestrüpp, vermischt mit knorrigen Kiefern und niedrigen Eichen, die sich in kleinen Waldstücken den Schräghang hinaufzogen. Changar band sein Pferd an einen Busch und befahl seinen Gehilfen, ihn zur Kuppe hinaufzutragen, welchem Befehl sie auch keuchend, doch ohne Murren nachkamen.
    Wieder war keine Spur von einem Wachtposten zu sehen. Die Sharaner erwarteten offensichtlich nicht, von der Rückseite her angegriffen zu werden, und das aus gutem Grund: Die nackten Felsklippen wirkten auf dieser Seite ebenso schroff und unbezwingbar wie auf der Vorderseite. Sie ragten aus einem Gewirr gigantischer Gesteinsbrocken auf, um eine Wand aus bräunlich-weißem Granit zu bilden, durchzogen von langen, schmalen Spalten. Allein schon an sie heranzukommen würde schwierig sein; sie zu erklettern erschien so gut wie unmöglich.
    Dies war genau das, was Changar erwartet hatte. Nach der ersten, demütigenden Niederlage hatte Vlahan Kundschafter ausgeschickt, die nach weiteren Möglichkeiten zum Sturm auf die Festung der Sharaner forschen sollten; die Männer hatten einstimmig berichtet, daß es ausgeschlossen sei, zum Gipfel der Klippen hinaufzugelangen. Vlahan hatte seinen Wegebahnern geglaubt, aber soweit Changar wußte, hatte er niemals das getan, was ein guter Häuptling in diesem Fall tun sollte: nämlich hinausreiten und sich mit eigenen Augen ein Bild von der Lage machen.
    Als ihn seine Gehilfen nicht weitertragen konnten, befahl Changar ihnen, ihn im Schatten einer Kiefer abzusetzen. Dort saß er lange Zeit, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt, während er das Gelände überprüfte. Kein Schmetterling flatterte vorbei, dessen Richtung er nicht aufmerksam verfolgt hätte; kein Habicht kreiste am Himmel, ohne daß er Notiz von ihm nahm. Kurz und gut, er tat all die Dinge, für die Vlahan verantwortlich war. Unser Häuptling hat wirklich noch weniger Phantasie als ein Schaf, dachte er. Der alte Zuhan wäre schon am allerersten Tag hier oben gewesen, um alle Möglichkeiten auszukundschaften.
    Das erste, was Changar auffiel, war, daß die nackten Klippen hier – genau wie auf der Vorderseite – nicht alle gleich aussahen. Einige türmten sich höher und runder als andere. Die Steilhänge waren zum größten Teil kahl, aber hier und da wuchsen kleine Grasbüschel aus unsichtbaren Rissen im Gestein. Er zählte nicht weniger als zehn Felsvorsprünge, alle zu hoch gelegen, um von irgendeinem Nutzen zu sein, gleichwohl interessant. Auf der rechten Seite fielen die Klippen zu einem Grat ab, dessen Flanken so steil und glatt waren, daß die Sonne darauf

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