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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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entziffern vermagst. Du erteilst noch einen Befehl, und deine Worte hallen im Inneren deines Kopfes wider, fliegen über- und untereinander hinweg wie Schwärme kreischender Vögel.
    Aber deine Gehilfen haben verstanden. Ein Junge mit Haar von der Farbe des Staubs kniet zu deinen Füßen nieder und hält den Korb bereit, während ein anderer Junge deine Tunika hochzieht. Du urinierst in einem langen, kräftigen Strahl, und wenn du fertig bist, heben sie den schäumenden Korb an deine Lippen, und du trinkst.
    Du tust dies dreimal im Laufe des Abends, und jedesmal wird der Trank stärker, der bittere Geschmack noch konzentrierter. Während du darauf wartest zu trinken, wandern die rauchigen Sterne über den Himmel, und Hans verächtlich starrendes Auge verschwindet unterhalb des Horizonts.
    Wenn die ersten Himmelskörper des Abends verblaßt sind, beginnst du dich zu verwandeln; deine Schneidezähne wachsen lang, deine Ohren werden riesig und empfindsam für Laute und Geräusche, die kein Mensch wahrnehmen kann. Mäusegesicht, denkst du. Fuchsgesicht; pelzbedeckter Körper, grau und weich wie Staub. Klauenbewehrte Füße. Stockdünne Arme. Große, ledrige Schwingen, von vielen Adern durchzogen.
    Vielleicht ist es diesem neuen Geschöpf, in das du dich verwandelt hast, bestimmt, sich in die Lüfte zu schwingen und zu fliegen, oder vielleicht auch nicht; denn wenn die Verwandlung gelingt, fällst du zu Boden und beginnst, auf dem Bauch vorwärtszukriechen. Deine Gehilfen weichen entsetzt vor Angst zurück, während du im Staub kriechst und zwitschernde Laute ausstößt. Sie können deinen neuen Körper nicht sehen, aber du kannst es.
    Der bittere Geschmack der heiligen Pilze steigt in deiner Kehle auf, und du rückst mit ihm empor. Du bewegst deine Lederschwingen, erhebst dich in den Himmel und fliegst geradewegs zu den Klippen, wo die Feiglinge schlafen.
    Bald erkennst du die Zelte der Sharaner, wie weiße und braune Steine auf dem Granitvorsprung verstreut. Du siehst den kargen Gipfel der schroffen Klippen über dem Lager aufragen; das lose Geröll, die von Rissen durchzogene Steinwand gleich links von der obersten Wegbiegung; den brustförmigen Tempel mit seinem Schlangenkopf; die Dampfschwaden, die von der heißen Quelle aufsteigen. Irgendwo dort unten schläft Marrah die Hexe, in Angst und Schrecken eingehüllt, weil du ihren Sohn hast.
    Du würdest gerne in ihr Zelt fliegen und dich neben sie setzen, um ihr grauenhafte Dinge ins Ohr zu flüstern, aber es bleibt nicht mehr genug Zeit für solche Vergnügen. Schon beginnen deine Flügel zu erschlaffen, und du fühlst, wie du zurück in deinen alten, verkrüppelten Körper gesogen wirst. Abwärts, immer weiter abwärts fliegst du, zurück zum Hansi-Lager, zurück in den Kreis verängstigter Gehilfen.
    Es widerstrebt dir nicht, wieder deine menschliche Gestalt anzunehmen. Denn du hast genug gesehen. Jetzt weißt du, wie man die Sharaner zwingen kann, sich zu ergeben. Der Plan liegt so nahe, daß du schon längst daran hättest denken sollen, alter Narr!
    »Wasser höhlt Fels aus«, flüsterst du, und deine Gehilfen, die glauben, du verlangtest zu trinken, halten dir einen Wasserschlauch an die Lippen.
     
    Nachdem Changar seinen Durst gestillt hatte, schlief er tief und fest, während sich seine Diener um sein Lager kauerten, um ihn zu bewachen und das Feuer zu schüren. Irgendwann in der Dämmerung brachten sie Changar eine Frau, und er nahm sie, aber später konnte er sich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern.
    Am Morgen erwachte Changar mit einem Gefühl neuer Kraft, als wäre er wieder ein junger Mann. Der unangenehme Geschmack in seinem Mund war verschwunden, und er sang leise vor sich hin, als er sein Frühstück aus Rindfleisch und weichem Käse verzehrte.
    Fleisch und Milch gab es reichlich; aber Früchte und andere Delikatessen waren knapp, da Vlahan den Frauen befohlen hatte, immer in der Nähe des Lagers zu bleiben, und weil die Sharaner alles verbrannt hatten, was sie nicht auf die Klippen hatten transportieren können. Dennoch bekam Changar immer das Beste von allem, was verfügbar war.
    In letzter Zeit hatten er und die anderen Männer sich an Fischragouts gütlich getan, aber an diesem Morgen war ihm eine ganz besondere Köstlichkeit vergönnt: eine kleine Honigwabe, um daran zu saugen. Als sie damals in Shara eingetroffen waren, hatten die Nomaden die Bienenstöcke aus Ton kaputtgeschlagen, weil sie nicht gewußt hatten, was das war; doch nach

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