Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Geduld.
»Du hast also nachgedacht«, soufflierte er.
» Ja.« Das Wort hatte einen seltsamen Klang. Es hörte sich in Vlahans Mund an wie Knochen, die in einem Sack klapperten. »Wir werden sie opfern.«
Changar war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. »Opfern? Wen? Die Sharaner?«
»Wen sonst?« Vlahan blickte Changar stirnrunzelnd an. »Nachdem sie sich ergeben haben, werde ich sie allesamt Han als Opfergabe darbringen, mit Ausnahme von Arang, den ich brauche, um die Unterhäuptlinge zu kontrollieren – und Keru, der zweifellos Zuhans Enkel ist, egal ob ich ihn nun gezeugt habe oder mein toter Bruder. Außerdem ist mir der Junge lieb geworden.« Changar war erstaunt zu hören, daß Vlahan überhaupt jemanden gern hatte, aber andererseits steckte Vlahan stets voller Überraschungen.
»Es wird das größte Opfer sein, das jemals irgendein Häuptling gebracht hat. Noch Generationen später wird unser Volk von Vlahan dem Großen singen, der Han eine ganze Stadt opferte. Wir werden zuerst die Kinder töten, dann die Frauen und zum Schluß die Männer.«
Er sprach schlicht und nüchtern, als beschriebe er die Verteilung von Vorräten. Sie würden keine Sklavinnen oder Konkubinen beiseite schaffen, und das Ritual sollte kurz vor Sonnenuntergang stattfinden, mit allen dazugehörigen Feierlichkeiten und Zeremonien. »Wir werden eine Menge Holzpfähle und Scheiterhaufen brauchen, deshalb mußt du die alten Männer und Jungen in den Wald schicken, um Bäume zu fällen und sie auf einem Weg herzu-transportieren, wo sie von den Sharanern unbemerkt bleiben. Ich übertrage dir die Verantwortung für die eigentliche Zeremonie. Wir werden Han natürlich auch Pferde opfern.«
Vlahan sprach lange Zeit, während er ausführlich alle Einzelheiten erläuterte. Ausnahmsweise einmal war Changar beeindruckt.
Vier Tage kamen und gingen. Am Morgen des fünften – während die Krieger damit beschäftigt waren, sich die Köpfe zu rasieren, ihre Körper zu bemalen und sich auf die Ergebung der Sharaner vorzubereiten – wanderten kleine Gruppen von Frauen still und unauffällig durch das Nomadenlager und strebten in Richtung Strand. Sie waren Sklavinnen niedersten Ranges und gingen jeweils zu zweit oder zu dritt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Wenn Vlahan und seine Krieger nicht so damit beschäftigt gewesen wären, sich herauszuputzen, hätten sie sich vielleicht gefragt, warum so viele Sklavinnen aus so vielen verschiedenen Stämmen alle in dieselbe Richtung strebten.
Einige der Frauen hatten Körbe und Grabstöcke bei sich, andere Angelschnüre und Fischnetze; und eine oder zwei trugen Stangen, die sich bei näherem Hinsehen als roh gezimmerte Harken entpuppt hätten. Als sie am Strand ankamen, banden sie ihre langen Tuniken hoch, zogen ihre Beinlinge aus und machten sich an die Arbeit.
Einige wateten mit den selbstfabrizierten Harken in die Brandung hinaus, während andere mit ihren Grabstöcken im Sand herumzustochern begannen. Oft fanden sie, wonach sie suchten, und dann warfen sie es in einen der Körbe, die am Saum des Wassers aufgestellt waren. Nach und nach wuchs die Ausbeute, und als sie dies sahen, arbeiteten die Frauen noch hingebungsvoller.
Manche warfen Netze in die Wellen und zogen zappelnde Bündel von Fischen wieder heraus. Sie kippten den Inhalt des Netzes auf den Sand, warfen es wieder aus, und weitere Fische landeten sich windend und nach Luft schnappend neben dem ersten Fang. Jedesmal, wenn ein Netz geleert wurde, wateten barfüßige Frauen in das schlangengleiche Gewirr, wählten einige Exemplare aus und warfen den Rest wieder ins Wasser. Die meisten dieser Frauen hatten an den Ufern des Süßwassersees gelebt, bevor sie in Gefangenschaft gerieten; sie wußten, welche Arten am besten schmeckten.
Als sie eine zweite Reihe von Körben gefüllt hatten, setzten sich die Frauen nieder, um die Fische zu schuppen und auszunehmen. Bald gesellten sich die anderen zu ihnen. Die Fischerinnen breiteten ihre Netze zum Trocknen auf dem Sand aus, während jene, die den Seegrund nach Muscheln abgeharkt hatten, ihre Stöcke in die Gürtel schoben. Die Sklavinnen arbeiteten geschickt und schnell: abschuppen, aufschlitzen, die Innereien herausnehmen und auf einen Haufen werfen für die Möwen, die Schalen knacken und das Muschelfleisch auslösen.
Bevor der erste Krieger das Lager verließ, waren die Frauen mit allem fertig, und als sie zurückkehrten – wieder in kleinen, unauffälligen Gruppen –,
Weitere Kostenlose Bücher