Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
trug jede von ihnen einige Zutaten für eine herzhafte Fischsuppe.
Kurz nach Mittag ritten die Nomaden zum Fuß der Klippen, um die Kapitulation der Sharaner entgegenzunehmen.
Vlahan, der an der Spitze der Truppe ritt, war ein glanzvoller Anblick. Er galoppierte aus dem Lager auf einem großen weißen Hengst, doppelt so feurig und edel wie derjenige, den er geopfert hatte; zudem war er derart verschwenderisch mit Gold behängt, daß sich Marrah, als sie ihn über die verkohlten Felder heranpreschen sah, wunderte, daß er überhaupt noch aufrecht sitzen konnte: Goldkrone, schwere goldene Halsketten, goldene Ohrringe, goldener Brustpanzer, goldenes Pferdezepter, Goldarmbänder, Goldkanten an seinen Stiefeln, Goldfäden in seinem Umhang, Goldpuder auf Gesicht und Oberkörper, so daß er glitzerte, Goldpaste in seinem Haar, das seinen Kopf wie ein Strahlenkranz umgab. Sie hatte gar nicht gewußt, daß es so viel Gold auf der Welt gab.
Hinter ihm und zu beiden Seiten ritten die Unterhäuptlinge in weitaus bescheidenerer Pracht, das heißt kupfernen Imitationen seines Glanzes, aber gleichermaßen furchteinflößend. Sie waren nackt bis auf einen Lendenschurz, ihre Gesichter blutrot bemalt, ihr Haar so steif wie seines, wenn auch nicht so phantastisch anzusehen.
Ein solches Geklirre von Speeren, dieses Gewieher vollblütiger Pferde, derart wilde Schlachtrufe, ohrenbetäubendes Geheul und ähnliche Mengen von Staub und Verwirrung hatten die Mutterländer noch nicht erlebt: Dies war nicht lediglich ein Angriffstrupp, sondern sämtliche Krieger, die Vlahan nach Süden gefolgt waren, einschließlich der Jungen, die alt genug waren, einen Bogen zu spannen.
An jenem Nachmittag gab es nicht einen Sharaner oben auf den Klippen, der sich nicht an die Zeit erinnerte, als ein solcher Anblick sie in tödlichen Schrecken versetzt hätte. Marrah fiel das Massaker von Shambah ein; Hiknak erinnerte sich an die Nacht, als die Hansi ihren gesamten Stamm abgeschlachtet hatten; Dalish dachte an den Tag, als sie ihrer Mutter entrissen worden war. Die Jäger riefen sich den ersten Überfall der Nomaden ins Gedächtnis, und die Wachtposten wußten noch genau, wie ihnen das Herz bis zum Hals geklopft hatte beim Anblick der die Felswand herabgleitenden Hansi-Krieger.
Was für großartige Schauspieler die Nomaden doch sind, sagten sich die Sharaner, während die Reiter heranstoben. Sie kannten sich aus, wie man nacktes Grauen verbreitete, ohne auch nur einen Speer zu heben, verstanden sich darauf, ihre Opfer zu überrumpeln und sie durch schreckenverbreitende Spektakel einzuschüchtern. Aber an diesem Nachmittag würde der Lieblingstrick der Nomaden keine Wirkung zeitigen.
»Man kann von seinen Feinden nur lernen«, hatte Marrah gesagt, als sie ihr Volk vor fünf Tagen zusammenrufen ließ, um ihm den zweiten Teil ihres Plans zu erläutern. Und die Sharaner hatten es begriffen.
Sie fürchteten zwar nach wie vor die Schärfe der Nomadenspeere und die Reichweite ihrer Pfeile; aber die wilde Kriegsbemalung, das Heulen und die Schlachtrufe vermochten sie nicht mehr einzuschüchtern. Seit Marrah mit der Nachricht zurückgekehrt war, daß die Sklavinnen das Muschelsammeln übernehmen wollten, hatten sie sich heute eine eigene Inszenierung für Vlahan zurechtgelegt. Ein Teil dieser Maßnahme bestand aus kleinen Feuern, die sie entlang dem Klippenrand angezündet hatten; ein Teil befand sich in ihren Taschen, ein Teil war an Leinenseile angebunden, und ein Teil würde erst später seine Wirkung entfalten.
»Wir müssen den Sklavinnen helfen«, hatte Marrah erklärt. »Möglicherweise gelingt es ihnen nicht zur Gänze, sämtliche Krieger zu vergiften. Zwar hoffen wir, daß Vlahan und Changar, die meisten der Unterhäuptlinge und vielleicht einige der wichtigeren Krieger die Welt verlassen, aber zählen können wir nicht darauf. Deshalb sollten wir auf alles gefaßt sein; wir müssen Verwirrung stiften und den Nomaden Angst einjagen.«
Als die Krieger jetzt sieghaft auf die Klippen zugaloppierten und Wolken von Asche und Staub aufwirbelten, hallte das Trommeln der Pferdehufe weit über das Tal. Kommt schnell, dachten die Sharaner. Wir haben etwas Besonderes zu eurem Empfang vorbereitet: Wir haben eine Lektion für euch!
Diesmal stand außer Frage, daß Keru und Arang als Geiseln gehalten wurden, während Changar verhandelte. Vlahan zügelte seinen Hengst am Fuße der Klippen und saß wie ein glitzernder Götze reglos im Sattel, bis seine
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