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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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auf; die dreißig wiederum bilden rasch Dutzende winziger Trupps, da jeder Krieger, der sich noch im Sattel halten kann, um sein Leben reitet. Manchmal nimmt er seine Familie mit, manchmal läßt er sie zurück.
    Die Frauen, die zurückbleiben, heiraten oft neue Männer, und ihre Kinder bekommen neue Väter. Die alten Hansi-Geschlechter hören auf zu existieren, vermischen sich mit fremdem Blut, und als sich die zahllosen Splittergruppen schließlich wieder zu mehreren Dutzend Stämmen zusammenschließen, ist keine Rede mehr von einem Großen Häuptling.
    »Vlahan der Große starb in Shara«, singen die Nomadendichter. »Verflucht von dem Schlangen-Vogel.« Die Belagerung dieser Stadt wird schnell zur Legende. In den Geschichten, die sich die Nomaden am Lagerfeuer erzählen, kämpft Vlahan, der Bastardsohn von Zuhan, gegen eine ungeheure weibliche Schlange namens Marrah und wird am Ende von ihr verschlungen. Aber die Überlieferung ist falsch und die Wahrheit eigentlich interessanter als die Legende.
     
    Als das Unwetter seinen Höhepunkt erreicht hatte, wanderte Hiknak den Pfad zum Fuß der Klippen hinunter, wobei sie sich immer dicht an der Felswand hielt, um nicht im Schlamm auszurutschen und über den Rand zu stürzen. Kurz bevor sie die letzte Pfadbiegung umrundete, ließ sie sich auf Hände und Knie nieder und kroch zögernd voran, um zu sehen, ob vielleicht Nomadenwachen am Ende des Pfades standen – was jedoch nicht zutraf. Dies war nicht nur ein gutes Zeichen, es erleichterte ihr auch den Abstieg. Sie ließ das Seil zurück und eilte weiter, so schnell sie konnte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob jemand sie erspähte.
    Am Fuße der Klippen nahm sie ihren Speer vom Rücken und zog ihren Dolch teilweise aus seiner Lederscheide. Als sie über die nassen Felder marschierte, saugte Schlamm an ihren Stiefeln, und kalte Regentropfen prasselten ihr ins Gesicht, aber sie spürte es kaum. Sie war regelrecht trunken von dem Bedürfnis, sich an Vlahan zu rächen. Seit sechs Jahren, seit dem Tag, als Vlahan mit seinen Männern in das Lager ihres Vaters geritten war und ihren ganzen Stamm massakrierte, hatte sie sehnsüchtig auf eine Gelegenheit gewartet, es ihm heimzuzahlen.
    Hiknak war sogar bereit zu sterben für die Befriedigung, persönlich gegen Vlahan zu kämpfen und ihn zu töten; aber sie wollte ihr Leben nicht leichtsinnig wegwerfen, deshalb paßte sie scharf auf, während sie sich einen Weg zu den Ruinen von Shara bahnte. Doch von den Wachen, die eigentlich am Rande des Nomadenlagers hätten stehen müssen, war keine Spur zu entdecken. Ganz eindeutig hatten die Sklavinnen ihr Versprechen gehalten, und sie dankte ihnen im stillen.
    Sobald Hiknak den ersten Kreis von Zelten erreichte, konnte sie das Weh- und Jammergeschrei der Lagerbewohner hören. Zwischen der Stadt und dem Fluß erstreckte sich eine breite, ebene Fläche, die einst Weideland und Getreidegrund gewesen war. Jetzt, als das Lager in aller Eile aufgelöst wurde, bot sich ihr ein Anblick wie aus einem Alptraum.
    Frauen rannten wild in alle Richtungen, rissen Zelte nieder, spannten Pferde an, zerrten kranke, sterbende – und tote – Männer zu den Schlitten. Verängstigte Kinder riefen nach ihren Müttern; Krieger flehten schreiend um irgendein Mittel, das die reißende Pein linderte.
    Marrah selbst wäre zutiefst erschüttert gewesen, hätte sie die qualvollen Schreie der Kranken und Sterbenden gehört, aber Hiknak war aus härterem Holz geschnitzt. Sie genoß das Leiden der Nomaden nicht gerade, aber es verschaffte ihr eine kriegerische Befriedigung. Dies waren ihre Feinde, und nach dem, was sie alles angerichtet hatten, drängte es sie nicht, Mitgefühl an diese Horde zu verschwenden.
    Eine Weile stand sie am Rande des Geschehens und schaute zu, wie eine Familie nach der anderen floh. In ihrer Hast trampelten sie sich beinahe gegenseitig nieder und ließen eine Menge zurück: Satteltaschen, Teppiche, all die Tontöpfe, die sie in den Ruinen von Shara erbeutet hatten. Manche nahmen nicht einmal ihre Hunde mit, aber sie vergaßen niemals ihre Zeltstangen oder Waffen oder Pferde, was bewies, daß sie trotz allem Nomaden waren und blieben.
    Die Panik im Lager wuchs mit jedem Augenblick, während das Gift einen Krieger nach dem anderen dahinraffte. Als Hiknak sicher sein konnte, daß alle zu krank oder zu kopflos var Schrecken waren, um sie zu bemerken, mengte sie sich einfach mitten in das Gewühl und bahnte sich einen Weg in die Mitte des

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