Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
bei uns gesucht haben«, erinnerte Marrah sie. »Wir werden neue Mutterhäuser für sie bauen müssen.« Was den Tatsachen entsprach; und als sie die Weisheit ihres Vorschlags einsahen und begriffen, welch großen Vorteil auch eine Stadtmauer mit sich brächte, erklärten sich die Ältesten mit ihrem Plan einverstanden: Sie bestimmten, daß die Dächer aller Mutterhäuser aneinander-grenzen sollten, damit die Bewohner in Friedenszeiten von einem Dach zum anderen spazieren und sich gegenseitig besuchen könnten.
Die neue Form von Shara – gewunden und in sich geschlossen –war die augenscheinlichste Veränderung; aber als Batal von ihrem Tempel herunterblickte, fielen ihr noch andere Dinge auf – subtilere Neuerungen, die dennoch in vieler Hinsicht wirkungsvoller waren.
In den Tempeln standen jetzt viele der Webstühle mit Fäden der langhaarigen Schafe bespannt, die die Nomaden in ihrer Panik zurückgelassen hatten. Ebendiese Nomadenschafe grasten jetzt auf der Weide, die dem Fluß am nächsten lag, getrennt von den sharanischen Herden, um zu verhindern, daß sie sich mit ihnen paarten und ihre Nachkommen ihre speziellen Eigenschaften verloren.
Wolle konnte zu warmem, weichem Tuch verarbeitet werden, leichter als Pelz und stärker als Leinen – die sharanischen Priesterinnen waren die ersten, die Wolle zu spinnen verstanden. Die Nomaden hatten sie lediglich zu steifem, kratzigem Filz gepreßt, um unförmige Beinlinge und dicke Decken daraus zu machen; doch jetzt glitten die sharanischen Weberschiffchen kreuz und quer durch die feinen Wollfäden, und prachtvolle Stoffe entstanden, so leicht wie Gänsedaunen, um auf Raspas geladen und im Süden erfolgreich gegen andere Waren getauscht zu werden.
Mit den Nomadenrindern hatten sie allerdings weniger Glück, ausgemergelt, übellaunig und störrisch, wie sie waren. Da die Sharaner fürchteten, daß sich die angriffslustigen, halbwilden Bullen mit ihren friedfertigen Kühen paaren würden, und sie keine großen Herden züchten wollten, hatten sie den größten Teil der Tiere in die Freiheit der Wälder getrieben.
Aber die Pferde – ah, die Pferde – wie die Sharaner sie liebten! Freilich, wenn die Nomaden niemals Pferde gezähmt hätten, hätten sie auch niemals gen Süden reiten können, um Krieg in die Mutterländer zu bringen; aber sie waren vernünftig genug, nicht den armen Kreaturen die Schuld anzuhängen. Wie die Sklavinnen und Konkubinen, so waren auch diese prachtvollen Geschöpfe gezwungen worden, grausamen Herren zu dienen. In Shara hingegen wurden sie geliebt und gut behandelt: gezähmt, aber niemals mit Gewalt unters Joch gespannt.
Und als Batal über die Weiden zum Fluß hinüberschaute, sah sie die drei Pferde, die Marrah während der Belagerung von Shara gerettet hatte, die vier von den sharanischen Hütejungen versteckten Stuten und den temperamentvollen Hengst, dessen man sich ebenfalls bemächtigt hatte. Diese Pferde waren den Winter über damit beschäftigt gewesen, sich an Heu und Kastanien sattzufressen; die Stuten bemühten sich eifrig um den Hengst, der sie seinerseits mit größter Aufmerksamkeit belohnte – daher zweifelte niemand daran, daß die achtköpfige Herde nächstes Jahr um diese Zeit ohne weiteres aus fünfzehn Tieren bestehen könnte.
Als eines sonnigen Nachmittags drei Sharaner in der Kinderstube ihres neuen Mutterhauses saßen, boten diese zukünftigen Fohlen Anlaß zu reichlich Gesprächsstoff. Zwei von der Gruppe waren klein und hatten hohe, helle Stimmen, und eine – ihre Mutter –bekleidete das Priester-Königinnenamt der Stadt.
Die Königin, niemand anders als Marrah, saß auf einem dicken braunen Kissen, während ihre nackten Fersen die kühlen Fliesen berührten. Vor ihr stand ein Korb mit ausgesuchten, süßen Erdbeeren. Jedesmal, wenn sie sich eine Beere in den Mund schob, steckte sie auch jeweils eine in die kleinen Münder rechts und links von sich. Wann immer sie dies tat, krausten die Kinder die Nasen und lachten. Eine Zeitlang hatten sie ein albernes Spiel gespielt, das »Häschen« hieß, aber es hinderte sie nicht daran, über ernstere Dinge, wie zum Beispiel Fohlen, zu sprechen.
»Wenn die Fohlen geboren sind«, sagte Keru, »will ich auch eins haben.«
Marrah schob ihm eine weitere Erdbeere in den Mund und legte einen Arm um ihn. In ihrem anderen Arm hielt sie Luma. Direkt vor ihnen stand ein kleines Tongefäß, das mit Farn und gelben Gänseblümchen bepflanzt war, und dahinter befand sich ein
Weitere Kostenlose Bücher