Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
beiden Lieblinge wieder bei mir waren. Und das«, sagte sie, küßte Luma auf die Nase und Keru auf die Stirn, »das, meine beiden Häschen, ist das Ende der Geschichte.«
Aber Marrah irrte sich: Das wirkliche Ende kam erst einen Monat später.
Marrah stand gerade in der Küche ihres Mutterhauses und rührte in einem Topf mit Linsensuppe, als eine der Nichten hereingestürmt kam, um aufgeregt zu berichten, daß sich ein Trupp berittener Nomaden der Stadt nähere. Plötzlich sah Marrah die ganze Zukunft Sharas in tausend Scherben zerbrechen wie eine Vase, die gegen eine Wand geschleudert wurde.
Entsetzt warf sie ihren Rührstock hin und rannte zum Versammlungsplatz. Dort herrschte allgemeine Verwirrung und Hektik:
Kinder schrien ängstlich, Hunde bellten, Leute griffen hastig nach Hacken, Grabstöcken und allen möglichen Gegenständen, die ihnen als Waffen dienen konnten. Vor der Rednerplattform schlugen die Trommler verzweifelt Alarm, doch es war zu spät, um die Arbeiter von den Feldern herbeizuholen. Überall auf den Hausdächern standen Leute, zeigten nach Norden und riefen bestürzt, daß die Nomaden bereits den Fluß überquert hätten.
»Schließt das Tor!« brüllte Marrah, doch das Tor war bereits verbarrikadiert von einer verzweifelten Menschenmenge, die sich mit ihren Körpern dagegengeworfen hatte. Marrah hörte die schweren Torflügel ächzen und zuschlagen, wonach die Gesichter der Leute im Schatten lagen. Eilig wurde der Balken vorgelegt, der aus dem Stamm einer Eiche geschnitzt und so dick wie die Arme von vier Männern war, aber er bestand ebenfalls aus Holz, genau wie das Tor; als Marrah auf ihrem Weg über die Hausdächer dort vorüberhastete, sah sie in Gedanken Shara zum zweiten Mal in Flammen aufgehen und sich selbst, ihre Kinder, ihre Freunde und alle ihre Stammesbrüder darin verbrennen.
Hiknak kam ihr auf dem Dach entgegen und drückte ihr schweigend einen Bogen in die Hand. Überall um sie herum knieten die Jäger mit schußbereiten Bögen, und Marrah erblickte über ihre Köpfe hinweg die Nomaden am Fluß. Zu ihrer Überraschung waren es nur fünf, gemächliche Reiter, die sich vorsichtig einen Weg zwischen den Kühen und Schafen hindurch bahnten, als wären sie bemüht, die Tiere nicht zu erschrecken.
Marrah wies die Jäger an, noch zu warten, bis sie ihnen den Befehl zum Schießen erteile.
»Glaubst du, sie werden angreifen?« rief sie Hiknak zu. »Wahrscheinlich nicht, es sei denn, in den Wäldern sind noch mehr von ihnen versteckt.«
Sie starrten angestrengt zum Wald hinüber, versuchten, Männer und Pferde zwischen den Bäumen zu entdecken, aber sie sahen nur Blätter, die in dem leichten Windhauch tanzten. Wenn dort ein großer Verband von Kriegern darauf wartete, die Stadt zu überfallen, dann waren sie so gut versteckt, daß nicht einmal das Wild sie bemerkt hatte. Scharen von Enten rupften am gegenüberliegenden Ufer des Flusses sorglos Gras, kleine Vögel pickten an den Brombeerbüschen, und am Himmel zog ein Habicht langsam seine Kreise.
Die Reiter bewegten sich in gleichmäßigem Tempo vorwärts, und beim Näherkommen entpuppte sich einer von ihnen als Kind –ein höchstens sieben- oder achtjähriges Mädchen. Sie war ein kleines blondschöpfiges Ding, in ein langes weißes Gewand gekleidet, das bis zu den Spitzen ihrer winzigen weißen Stiefel reichte. Um ihren Kopf schlang sich ein weißes Tuch, wie es bei den Nomaden üblich war, und ihr Körper schien zu glitzern.
»Ich sehe an den Männern keine Kriegsbemalung«, stellte Hiknak fest. »Und sie haben sich mit Kaninchenschwänzen ausgerüstet.« Sie zeigte auf eine lange Stange, die einer der Reiter vor sich her trug. Mehrere kleine Stücke von etwas, das Marrah für weißen Stoff gehalten hatte, flatterten an der Spitze.
»Was bedeutet das?«
Hiknak lächelte grimmig. »Es bedeutet, daß sie in friedlicher Absicht kommen. Aber ich würde mich lieber nicht darauf verlassen. Ich habe miterlebt, wie die Hansi Kaninchenschwänze schwenkten, in ein Lager ritten und sofort zu morden begannen.«
»Sind die Männer dort Hansi-Krieger?«
Hiknak musterte die Reiter und schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind zu schäbig gekleidet; ihre Clanzeichen kann ich zwar von hier aus nicht entziffern, aber ihre Tätowierungen sind allzu ungeschickt ausgeführt.« Sie hielt inne und strengte ihre Augen noch mehr an.
Inzwischen konnte Marrah die Gesichter ausmachen: Der älteste der Männer mit seinem grobknochigen Äußern
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