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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Selbst Zuhan, der einmal gedroht hatte, ihn zu entmannen, wenn die Shubhai nicht aufhörten, zu plündern und zu morden, nachdem die Hansi ein Dorf angegriffen hatten: Selbst der würde es sich jetzt zweimal überlegen müssen, bevor er den neuen Häuptling und Machthaber des Südens beleidigte.
    Nikhan schloß seine Augen noch fester, legte den Kopf zurück und dachte dran, wieviel er erreicht hatte. Als der jüngste von Brakhans fünf Söhnen hatte er niemals erwartet, lange genug zu leben, um eines Tages Häuptling der Shubhai zu werden. In seiner Kindheit hatten sich seine älteren Brüder damit vergnügt, ihn zu verfolgen und zu schikanieren. Sie hatten über seine krummen Beine und dünnen Arme gespottet, über seine teigige Haut und sein struppiges Haar, das sie stets mit einem schlecht gestriegelten Pferdeschweif verglichen.
    Er, Nikhan, war immer der Zwerg gewesen, der häßliche kleine Schwächling, den nur seine Mutter lieben konnte. Das einzig Hübsche an ihm waren seine Augen gewesen: grün und von langen, dunklen, fast mädchenhaften Wimpern umkränzt; aber als er älter wurde, hatte der übermäßige Alkoholgenuß das Weiße seiner Augen gelb verfärbt, so daß man ihm schon im Alter von zwanzig seine Gier und sein Lotterleben ansah.
    Eigentlich hatte er ein ganz anderes Aussehen verdient, denn seiner Ansicht nach besaß er allerhand bewundernswerte Züge. Man brauchte sich ja nur die Reihenfolge der Ereignisse anzusehen, die ihn zum Häuptling gemacht hatten. Einer nach dem anderen waren die Männer seiner Familie umgekommen, aber er war nicht an ihrer Ermordung beteiligt gewesen. Zuerst hatten seine älteren Brüder den Vater getötet, und dann waren sie aufeinander losgegangen.
    Die Verwandtschaft mit ihnen konnte allerhand Ungemach bedeuten: von einem Pferd abgeworfen zu werden, das noch nie irgend jemanden abgeworfen hatte; oder plötzlich an einer seltsamen Magenverstimmung zu sterben; von seiner eigenen Ehefrau mit giftigen Pilzen in den Tod geschickt zu werden oder sich in der Steppe mit einem Hansi-Pfeil im Rücken wiederzufinden, wenn seit Monaten kein Hansi mehr in der Gegend gesichtet worden war.
    Nikhan war von diesen heimtückischen Attentaten verschont geblieben, weil er noch zu jung gewesen war, um den anderen den Rang streitig zu machen, und zu schwächlich, um Neid zu erregen. Außerdem besaß er aus irgendeinem unerfindlichen Grund Ehrgefühl, etwas, was seinen Brüdern völlig abging. Niemand wußte, warum, nicht einmal er selbst. Es war etwas, womit er geboren worden war, wie den schiefen Zähnen und den grünen Augen. Er war eitel, aufgeblasen, ehrgeizig und grausam, besonders in betrunkenem Zustand; aber wenn er einen Treueid leistete, bei Han, dann hielt er ihn auch.
    Als seine älteren Brüder der Reihe nach Häuptling wurden, hatte er versprochen, ihnen zu gehorchen und treu zu folgen, und zur Überraschung aller hatte er jene Versprechen niemals gebrochen. Nachdem sich die letzten beiden Brüder gegenseitig aus dem Hinterhalt überfallen und gemeuchelt hatten, war Nikhan in Abwesenheit zum Häuptling der Shubhai ernannt worden; infolgedessen hatte er diese Würde erlangt, ohne Treueschwüre zu brechen und seine Hände mit dem Blut seiner nächsten Angehörigen zu beflecken.
    Es gab nur wenige Nomadenhäuptlinge, die ehrlich von sich behaupten konnten, nicht mit unsauberen Machenschaften an die Macht gekommen zu sein; Nikhans Ruf, stets sein Wort zu halten, hatte ihm daher den Respekt der anderen Krieger eingebracht, auch wenn er klein und schmächtig war und insofern nicht dem Bild eines Häuptlings entsprach. Natürlich hatte es geholfen, daß er mehrere Feinde in der Schlacht getötet hatte und daß er jedesmal fast durchdrehte, wenn ihn jemand zu einem Kampf herausforderte. Er hatte ein oder zwei Augen ausgestochen, ein paar Köpfe abgeschlagen und ganz allgemein das getan, was von einem Mann erwartet wurde; aber seine Krieger wußten, töten würde er nur einen echten Widersacher.
    Wenn man mit dem kleinen Nikhan ritt, so sagten sie sich, dann brauchte man nicht zu befürchten, mit einem Dolch im Rücken zu enden – es sei denn natürlich, man verletzte ihm gegenüber die Treuepflicht. In dem Fall würde man unausweichlich bald von der Spitze eines scharfen Speeres durchbohrt werden.
    Die Krieger waren gute Menschenkenner, besonders, wenn es um ihresgleichen ging. Obwohl Nikhan ein schwaches Kinn aufwies und klein und häßlich war, hatte er sich als guter Häuptling

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